heit (parvitas) überhaupt noch nicht gemein. Ein Vermögen, das nur zehn Thaler enthält, ist sehr klein, aber es ist immer ein Vermögen, in welchem nichts Verächtliches liegt. Ein Vaterunser, das sehr klein auf einem Kirschkern ge¬ schrieben ist, ist deshalb nicht häßlich, es ist eben nur sehr klein geschrieben. Die Kleinheit kann am rechten Ort und zu rechter Zeit ästhetisch eben so nothwendig sein, als die Größe. Auch die Ueberkleinheit kann wie die Uebergröße in einem gegebenen Falle sich rechtfertigen. Das Kleinliche ist aber der Begriff einer nichtseinsollenden Kleinheit, nämlich derjenigen, welche eine Existenz unter die ihr nothwendigen Schranken herabsetzt Das erhabene Große hebt durch seine Unendlichkeit die Schranken des Raums und der Zeit, des Lebens und des Willens, der Unterschiede der Bildung und des Standes auf; es realisirt darin die Freiheit. Das Klein¬ liche hingegen befestigt diese Schranken über die ihnen zu¬ kommende Nothwendigkeit hinaus; es wird mit ihrer Ver¬ absolutirung die Verkehrung des Großen. Schiller sagt, gemein sei Alles, was nicht zum Geist spreche und woran man nur ein sinnliches Interesse nehmen könne. Er hat mit diesen Worten das Element der Unfreiheit andeuten wollen, durch welche sich das Gemeine charakterisirt. Die Kleinlich¬ keit ist nur deshalb gemein, weil sie die Freiheit einer Existenz da schon beschränkt, wo es noch gar nicht nothwendig wäre. Wir nennen z. B. einen Menschen im Leben kleinlich, wenn er durch ein pedantisches Festhalten am Unwesentlichen das Wesentliche an seiner Verwirklichung hindert; ein solcher Mensch ist gegen das Unwesentliche unfrei, kann sich nicht darüber erheben.
Von der Natur läßt sich, was ihre Einzelgebilde an¬ betrifft, die Kleinlichkeit nur selten und nur relativ aussagen;
heit (parvitas) überhaupt noch nicht gemein. Ein Vermögen, das nur zehn Thaler enthält, iſt ſehr klein, aber es iſt immer ein Vermögen, in welchem nichts Verächtliches liegt. Ein Vaterunſer, das ſehr klein auf einem Kirſchkern ge¬ ſchrieben iſt, iſt deshalb nicht häßlich, es iſt eben nur ſehr klein geſchrieben. Die Kleinheit kann am rechten Ort und zu rechter Zeit äſthetiſch eben ſo nothwendig ſein, als die Größe. Auch die Ueberkleinheit kann wie die Uebergröße in einem gegebenen Falle ſich rechtfertigen. Das Kleinliche iſt aber der Begriff einer nichtſeinſollenden Kleinheit, nämlich derjenigen, welche eine Exiſtenz unter die ihr nothwendigen Schranken herabſetzt Das erhabene Große hebt durch ſeine Unendlichkeit die Schranken des Raums und der Zeit, des Lebens und des Willens, der Unterſchiede der Bildung und des Standes auf; es realiſirt darin die Freiheit. Das Klein¬ liche hingegen befeſtigt dieſe Schranken über die ihnen zu¬ kommende Nothwendigkeit hinaus; es wird mit ihrer Ver¬ abſolutirung die Verkehrung des Großen. Schiller ſagt, gemein ſei Alles, was nicht zum Geiſt ſpreche und woran man nur ein ſinnliches Intereſſe nehmen könne. Er hat mit dieſen Worten das Element der Unfreiheit andeuten wollen, durch welche ſich das Gemeine charakteriſirt. Die Kleinlich¬ keit iſt nur deshalb gemein, weil ſie die Freiheit einer Exiſtenz da ſchon beſchränkt, wo es noch gar nicht nothwendig wäre. Wir nennen z. B. einen Menſchen im Leben kleinlich, wenn er durch ein pedantiſches Feſthalten am Unweſentlichen das Weſentliche an ſeiner Verwirklichung hindert; ein ſolcher Menſch iſt gegen das Unweſentliche unfrei, kann ſich nicht darüber erheben.
Von der Natur läßt ſich, was ihre Einzelgebilde an¬ betrifft, die Kleinlichkeit nur ſelten und nur relativ ausſagen;
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heit (parvitas) überhaupt noch nicht gemein. Ein Vermögen,
das nur zehn Thaler enthält, iſt ſehr klein, aber es iſt
immer ein Vermögen, in welchem nichts Verächtliches liegt.
Ein Vaterunſer, das ſehr klein auf einem Kirſchkern ge¬
ſchrieben iſt, iſt deshalb nicht häßlich, es iſt eben nur ſehr
klein geſchrieben. Die Kleinheit kann am rechten Ort und
zu rechter Zeit äſthetiſch eben ſo nothwendig ſein, als die
Größe. Auch die Ueberkleinheit kann wie die Uebergröße in
einem gegebenen Falle ſich rechtfertigen. Das Kleinliche iſt
aber der Begriff einer nichtſeinſollenden Kleinheit, nämlich
derjenigen, welche eine Exiſtenz unter die ihr nothwendigen
Schranken herabſetzt Das erhabene Große hebt durch ſeine
Unendlichkeit die Schranken des Raums und der Zeit, des
Lebens und des Willens, der Unterſchiede der Bildung und
des Standes auf; es realiſirt darin die Freiheit. Das Klein¬
liche hingegen befeſtigt dieſe Schranken über die ihnen zu¬
kommende Nothwendigkeit hinaus; es wird mit ihrer Ver¬
abſolutirung die Verkehrung des Großen. Schiller ſagt,
gemein ſei Alles, was nicht zum Geiſt ſpreche und woran
man nur ein ſinnliches Intereſſe nehmen könne. Er hat mit
dieſen Worten das Element der Unfreiheit andeuten wollen,
durch welche ſich das Gemeine charakteriſirt. Die Kleinlich¬
keit iſt nur deshalb gemein, weil ſie die Freiheit einer Exiſtenz
da ſchon beſchränkt, wo es noch gar nicht nothwendig wäre.
Wir nennen z. B. einen Menſchen im Leben kleinlich, wenn
er durch ein pedantiſches Feſthalten am Unweſentlichen das
Weſentliche an ſeiner Verwirklichung hindert; ein ſolcher
Menſch iſt gegen das Unweſentliche unfrei, kann ſich nicht
darüber erheben.
Von der Natur läßt ſich, was ihre Einzelgebilde an¬
betrifft, die Kleinlichkeit nur ſelten und nur relativ ausſagen;
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/203>, abgerufen am 22.11.2024.
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