Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

die Freiheit in untergeordneten Bestimmungen, in endlichen
Beziehungen erscheinen. Es fesselt uns durch den Reiz der
Selbstbeschränkung der Freiheit. Das Gefällige ist daher
recht eigentlich das gesellig Schöne und das geselligste Volk,
richtiger wohl noch, gesellschaftlichste Volk, das Französische,
spricht daher auch seine Anerkennung des Schönen mehr in
dem Prädicat des joli als dem des beau aus. Die Negation
der Freiheit, die mit ihrer Verendlichung spielt, ist die Auf¬
hebung der Freiheit durch die sich selbst widersprechende Un¬
freiheit. Eine solche ist widrig, denn sie negirt Schranken,
die nach der Nothwendigkeit der Freiheit sein sollten, und
setzt Schranken, die nach eben derselben nicht sein sollten.
Die Freiheit im Zustande der Unfreiheit ist widrig und das
Widrige ist daher dem Gefälligen entgegengesetzt, weil es die
Freiheit in dem Widerspruch erscheinen läßt, an dem End¬
lichen, das nur ein Moment und Mittel ihrer Bewegung
sein sollte, eine Schranke zu haben, die sie nicht aufhebt,
und zugleich Schranken, welche sein sollten, aufzuheben.
Warum ist z. B. Verwesung des Lebendigen ein widriger
Anblick? Unstreitig, weil es verwesend den elementarischen
Mächten anheimfällt, als deren Macht es, so lang es lebte,
existirt. Verwesend zeigt es uns noch die Form, in welcher
wir es als ein sich selbst bestimmendes, seine elementarische
Voraussetzung beherrschendes Wesen zu schauen gewohnt
waren, allein eben diese Form sehen wir sich auflösen, sehen
wir sich gerade den Mächten unterwerfen, die es lebend be¬
zwang. Dies ist widrig, denn das seinem Begriff nach
Freie ist nunmehr in einen Zustand gerathen, dessen Un¬
freiheit in eine Verendlichung auseinandergeht, welche die
ihm als Lebendigem nothwendigen Schranken aufhebt. Das
Verwesende fällt und fließt auseinander und so nothwendig

die Freiheit in untergeordneten Beſtimmungen, in endlichen
Beziehungen erſcheinen. Es feſſelt uns durch den Reiz der
Selbſtbeſchränkung der Freiheit. Das Gefällige iſt daher
recht eigentlich das geſellig Schöne und das geſelligſte Volk,
richtiger wohl noch, geſellſchaftlichſte Volk, das Franzöſiſche,
ſpricht daher auch ſeine Anerkennung des Schönen mehr in
dem Prädicat des joli als dem des beau aus. Die Negation
der Freiheit, die mit ihrer Verendlichung ſpielt, iſt die Auf¬
hebung der Freiheit durch die ſich ſelbſt widerſprechende Un¬
freiheit. Eine ſolche iſt widrig, denn ſie negirt Schranken,
die nach der Nothwendigkeit der Freiheit ſein ſollten, und
ſetzt Schranken, die nach eben derſelben nicht ſein ſollten.
Die Freiheit im Zuſtande der Unfreiheit iſt widrig und das
Widrige iſt daher dem Gefälligen entgegengeſetzt, weil es die
Freiheit in dem Widerſpruch erſcheinen läßt, an dem End¬
lichen, das nur ein Moment und Mittel ihrer Bewegung
ſein ſollte, eine Schranke zu haben, die ſie nicht aufhebt,
und zugleich Schranken, welche ſein ſollten, aufzuheben.
Warum iſt z. B. Verweſung des Lebendigen ein widriger
Anblick? Unſtreitig, weil es verweſend den elementariſchen
Mächten anheimfällt, als deren Macht es, ſo lang es lebte,
exiſtirt. Verweſend zeigt es uns noch die Form, in welcher
wir es als ein ſich ſelbſt beſtimmendes, ſeine elementariſche
Vorausſetzung beherrſchendes Weſen zu ſchauen gewohnt
waren, allein eben dieſe Form ſehen wir ſich auflöſen, ſehen
wir ſich gerade den Mächten unterwerfen, die es lebend be¬
zwang. Dies iſt widrig, denn das ſeinem Begriff nach
Freie iſt nunmehr in einen Zuſtand gerathen, deſſen Un¬
freiheit in eine Verendlichung auseinandergeht, welche die
ihm als Lebendigem nothwendigen Schranken aufhebt. Das
Verweſende fällt und fließt auseinander und ſo nothwendig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0191" n="169"/>
die Freiheit in untergeordneten Be&#x017F;timmungen, in endlichen<lb/>
Beziehungen er&#x017F;cheinen. Es fe&#x017F;&#x017F;elt uns durch den Reiz der<lb/>
Selb&#x017F;tbe&#x017F;chränkung der Freiheit. Das Gefällige i&#x017F;t daher<lb/>
recht eigentlich das ge&#x017F;ellig Schöne und das ge&#x017F;ellig&#x017F;te Volk,<lb/>
richtiger wohl noch, ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlich&#x017F;te Volk, das Franzö&#x017F;i&#x017F;che,<lb/>
&#x017F;pricht daher auch &#x017F;eine Anerkennung des Schönen mehr in<lb/>
dem Prädicat des <hi rendition="#aq">joli</hi> als dem des <hi rendition="#aq">beau</hi> aus. Die Negation<lb/>
der Freiheit, die mit ihrer Verendlichung &#x017F;pielt, i&#x017F;t die Auf¬<lb/>
hebung der Freiheit durch die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wider&#x017F;prechende Un¬<lb/>
freiheit. Eine &#x017F;olche i&#x017F;t widrig, denn &#x017F;ie negirt Schranken,<lb/>
die nach der Nothwendigkeit der Freiheit &#x017F;ein &#x017F;ollten, und<lb/>
&#x017F;etzt Schranken, die nach eben der&#x017F;elben nicht &#x017F;ein &#x017F;ollten.<lb/>
Die Freiheit im Zu&#x017F;tande der Unfreiheit i&#x017F;t widrig und das<lb/>
Widrige i&#x017F;t daher dem Gefälligen entgegenge&#x017F;etzt, weil es die<lb/>
Freiheit in dem Wider&#x017F;pruch er&#x017F;cheinen läßt, an dem End¬<lb/>
lichen, das nur ein Moment und Mittel ihrer Bewegung<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;ollte, eine Schranke zu haben, die &#x017F;ie nicht aufhebt,<lb/>
und zugleich Schranken, welche &#x017F;ein &#x017F;ollten, aufzuheben.<lb/>
Warum i&#x017F;t z. B. Verwe&#x017F;ung des Lebendigen ein widriger<lb/>
Anblick? Un&#x017F;treitig, weil es verwe&#x017F;end den elementari&#x017F;chen<lb/>
Mächten anheimfällt, als deren Macht es, &#x017F;o lang es lebte,<lb/>
exi&#x017F;tirt. Verwe&#x017F;end zeigt es uns noch die Form, in welcher<lb/>
wir es als ein &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;timmendes, &#x017F;eine elementari&#x017F;che<lb/>
Voraus&#x017F;etzung beherr&#x017F;chendes We&#x017F;en zu &#x017F;chauen gewohnt<lb/>
waren, allein eben die&#x017F;e Form &#x017F;ehen wir &#x017F;ich auflö&#x017F;en, &#x017F;ehen<lb/>
wir &#x017F;ich gerade den Mächten unterwerfen, die es lebend be¬<lb/>
zwang. Dies i&#x017F;t widrig, denn das &#x017F;einem Begriff nach<lb/>
Freie i&#x017F;t nunmehr in einen Zu&#x017F;tand gerathen, de&#x017F;&#x017F;en Un¬<lb/>
freiheit in eine Verendlichung auseinandergeht, welche die<lb/>
ihm als Lebendigem nothwendigen Schranken aufhebt. Das<lb/>
Verwe&#x017F;ende fällt und fließt auseinander und &#x017F;o nothwendig<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0191] die Freiheit in untergeordneten Beſtimmungen, in endlichen Beziehungen erſcheinen. Es feſſelt uns durch den Reiz der Selbſtbeſchränkung der Freiheit. Das Gefällige iſt daher recht eigentlich das geſellig Schöne und das geſelligſte Volk, richtiger wohl noch, geſellſchaftlichſte Volk, das Franzöſiſche, ſpricht daher auch ſeine Anerkennung des Schönen mehr in dem Prädicat des joli als dem des beau aus. Die Negation der Freiheit, die mit ihrer Verendlichung ſpielt, iſt die Auf¬ hebung der Freiheit durch die ſich ſelbſt widerſprechende Un¬ freiheit. Eine ſolche iſt widrig, denn ſie negirt Schranken, die nach der Nothwendigkeit der Freiheit ſein ſollten, und ſetzt Schranken, die nach eben derſelben nicht ſein ſollten. Die Freiheit im Zuſtande der Unfreiheit iſt widrig und das Widrige iſt daher dem Gefälligen entgegengeſetzt, weil es die Freiheit in dem Widerſpruch erſcheinen läßt, an dem End¬ lichen, das nur ein Moment und Mittel ihrer Bewegung ſein ſollte, eine Schranke zu haben, die ſie nicht aufhebt, und zugleich Schranken, welche ſein ſollten, aufzuheben. Warum iſt z. B. Verweſung des Lebendigen ein widriger Anblick? Unſtreitig, weil es verweſend den elementariſchen Mächten anheimfällt, als deren Macht es, ſo lang es lebte, exiſtirt. Verweſend zeigt es uns noch die Form, in welcher wir es als ein ſich ſelbſt beſtimmendes, ſeine elementariſche Vorausſetzung beherrſchendes Weſen zu ſchauen gewohnt waren, allein eben dieſe Form ſehen wir ſich auflöſen, ſehen wir ſich gerade den Mächten unterwerfen, die es lebend be¬ zwang. Dies iſt widrig, denn das ſeinem Begriff nach Freie iſt nunmehr in einen Zuſtand gerathen, deſſen Un¬ freiheit in eine Verendlichung auseinandergeht, welche die ihm als Lebendigem nothwendigen Schranken aufhebt. Das Verweſende fällt und fließt auseinander und ſo nothwendig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/191
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/191>, abgerufen am 22.11.2024.