mit Holzschnitten -- denn ohne holzschnittliche Illu¬ strationen ist eigentlich auch schon moderne Wissenschaft¬ lichkeit nicht mehr möglich --, mit mikroskopischen Enthüllungen, eine Physiologie heraus, eine Lehre vom Leben, Vorlesungen, gehalten vor einem Kreise von Damen und Herrn in einer Hauptstadt, und sagt vom ganzen Generationsapparat und von allen sexuellen Functionen kein Wort. Gewiß recht decent. Unsere Deutsche Literaturgeschichte ist durch das Zurechtmachen derselben für Mädchenpensionate und höhere Töchter¬ schulen schon ganz castrirt worden, um nur immer das Edle, Reine, Schöne, Erhebende, Erquickende, Gemüthliche, Liebliche, Veredelnde und wie die Stich¬ worte weiter lauten, für die zarten Jungfrauen- und Frauenseelen herauszustellen. Es ist dadurch eine un¬ glaubliche Falschmünzerei der Geschichte der Literatur in Gang gekommen, die auch schon über die pädagogischen Rücksichten hinaus die Auffassung entstellt und durch höchst einseitig ausgewählte traditionelle Blumenlesen unterstützt. Ein Glück, daß jetzt ein Werk, wie das von Kurz, erscheint, was durch seine Selbstständigkeit die Fabrik¬ arbeiter nöthigen wird, doch einmal auch wieder andere Objecte und in anderer Ordnung und mit anderm
mit Holzſchnitten — denn ohne holzſchnittliche Illu¬ ſtrationen iſt eigentlich auch ſchon moderne Wiſſenſchaft¬ lichkeit nicht mehr möglich —, mit mikroskopiſchen Enthüllungen, eine Phyſiologie heraus, eine Lehre vom Leben, Vorleſungen, gehalten vor einem Kreiſe von Damen und Herrn in einer Hauptſtadt, und ſagt vom ganzen Generationsapparat und von allen ſexuellen Functionen kein Wort. Gewiß recht decent. Unſere Deutſche Literaturgeſchichte iſt durch das Zurechtmachen derſelben für Mädchenpenſionate und höhere Töchter¬ ſchulen ſchon ganz caſtrirt worden, um nur immer das Edle, Reine, Schöne, Erhebende, Erquickende, Gemüthliche, Liebliche, Veredelnde und wie die Stich¬ worte weiter lauten, für die zarten Jungfrauen- und Frauenſeelen herauszuſtellen. Es iſt dadurch eine un¬ glaubliche Falſchmünzerei der Geſchichte der Literatur in Gang gekommen, die auch ſchon über die pädagogiſchen Rückſichten hinaus die Auffaſſung entſtellt und durch höchſt einſeitig ausgewählte traditionelle Blumenleſen unterſtützt. Ein Glück, daß jetzt ein Werk, wie das von Kurz, erſcheint, was durch ſeine Selbſtſtändigkeit die Fabrik¬ arbeiter nöthigen wird, doch einmal auch wieder andere Objecte und in anderer Ordnung und mit anderm
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[XI/0019]
mit Holzſchnitten — denn ohne holzſchnittliche Illu¬
ſtrationen iſt eigentlich auch ſchon moderne Wiſſenſchaft¬
lichkeit nicht mehr möglich —, mit mikroskopiſchen
Enthüllungen, eine Phyſiologie heraus, eine Lehre vom
Leben, Vorleſungen, gehalten vor einem Kreiſe von
Damen und Herrn in einer Hauptſtadt, und ſagt vom
ganzen Generationsapparat und von allen ſexuellen
Functionen kein Wort. Gewiß recht decent. Unſere
Deutſche Literaturgeſchichte iſt durch das Zurechtmachen
derſelben für Mädchenpenſionate und höhere Töchter¬
ſchulen ſchon ganz caſtrirt worden, um nur immer
das Edle, Reine, Schöne, Erhebende, Erquickende,
Gemüthliche, Liebliche, Veredelnde und wie die Stich¬
worte weiter lauten, für die zarten Jungfrauen- und
Frauenſeelen herauszuſtellen. Es iſt dadurch eine un¬
glaubliche Falſchmünzerei der Geſchichte der Literatur in
Gang gekommen, die auch ſchon über die pädagogiſchen
Rückſichten hinaus die Auffaſſung entſtellt und durch höchſt
einſeitig ausgewählte traditionelle Blumenleſen unterſtützt.
Ein Glück, daß jetzt ein Werk, wie das von Kurz,
erſcheint, was durch ſeine Selbſtſtändigkeit die Fabrik¬
arbeiter nöthigen wird, doch einmal auch wieder andere
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/19>, abgerufen am 24.11.2024.
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