Lessing von Abschnitt 33. bis 35. die Häßlichkeit von der Malerei ausgeschlossen und der Poesie vindicirt. Dies ist aber ein Irrthum und nach seiner feinen Art wird Lessing selbst zum Zweifel geführt, ob nicht die Malerei, zur Er¬ reichung des Lächerlichen und Schrecklichen, sich häßlicher Formen bedienen dürfe? "Ich will es nicht wagen, so ge¬ radezu mit Nein hierauf zu antworten." Er unterscheidet nun eine unschädliche Häßlichkeit für das Lächerliche und eine schädliche für das Schreckliche und behauptet, daß in der Malerei der erste Eindruck des Lächerlichen und Schreck¬ lichen sich bald verliere und nur das Unangenehme und Un¬ förmliche zurückbleibe. In seiner Ausführung nimmt er aber die Materialien seines Beweises immer nur aus Werken der Poesie, nicht auch der Malerei her und hat deshalb, wie wir tiefer unten beim Begriff des Ekelhaften im folgenden Theil unserer Untersuchung sehen werden, die Malerei zu eng umgrenzt.
Es zeigt sich unter den Künsten ein innerer Zusammen¬ hang, der uns den immanenten Uebergang der einen in die andere darstellt. In ihrem vornehmsten Organ, in der Säule, kündigt die Architektur schon die Statue an, aber die Säule ist deshalb doch keine Statue. Im Relief kündigt die Sculp¬ tur schon die Malerei an, aber das Relief als solches hat noch kein malerisches Princip, denn es hat noch keine Per¬ spective und noch keinen andern Schatten, als den der zu¬ fälligen Beleuchtung. Die Malerei drückt die Wärme des individuellen Lebens schon mit solcher Macht aus, daß der Ton nur zufällig zu fehlen scheint, aber das Spiel des Lichts, die Töne der Farben sind noch kein wirklicher Klang. Erst die Musik schildert in ihren Tönen unsere Gefühle. Wir empfinden sie in der Symbolik ihres Tongewoges, sehnen
Leſſing von Abſchnitt 33. bis 35. die Häßlichkeit von der Malerei ausgeſchloſſen und der Poeſie vindicirt. Dies iſt aber ein Irrthum und nach ſeiner feinen Art wird Leſſing ſelbſt zum Zweifel geführt, ob nicht die Malerei, zur Er¬ reichung des Lächerlichen und Schrecklichen, ſich häßlicher Formen bedienen dürfe? „Ich will es nicht wagen, ſo ge¬ radezu mit Nein hierauf zu antworten.“ Er unterſcheidet nun eine unſchädliche Häßlichkeit für das Lächerliche und eine ſchädliche für das Schreckliche und behauptet, daß in der Malerei der erſte Eindruck des Lächerlichen und Schreck¬ lichen ſich bald verliere und nur das Unangenehme und Un¬ förmliche zurückbleibe. In ſeiner Ausführung nimmt er aber die Materialien ſeines Beweiſes immer nur aus Werken der Poeſie, nicht auch der Malerei her und hat deshalb, wie wir tiefer unten beim Begriff des Ekelhaften im folgenden Theil unſerer Unterſuchung ſehen werden, die Malerei zu eng umgrenzt.
Es zeigt ſich unter den Künſten ein innerer Zuſammen¬ hang, der uns den immanenten Uebergang der einen in die andere darſtellt. In ihrem vornehmſten Organ, in der Säule, kündigt die Architektur ſchon die Statue an, aber die Säule iſt deshalb doch keine Statue. Im Relief kündigt die Sculp¬ tur ſchon die Malerei an, aber das Relief als ſolches hat noch kein maleriſches Princip, denn es hat noch keine Per¬ ſpective und noch keinen andern Schatten, als den der zu¬ fälligen Beleuchtung. Die Malerei drückt die Wärme des individuellen Lebens ſchon mit ſolcher Macht aus, daß der Ton nur zufällig zu fehlen ſcheint, aber das Spiel des Lichts, die Töne der Farben ſind noch kein wirklicher Klang. Erſt die Muſik ſchildert in ihren Tönen unſere Gefühle. Wir empfinden ſie in der Symbolik ihres Tongewoges, ſehnen
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Leſſing von Abſchnitt 33. bis 35. die Häßlichkeit von der
Malerei ausgeſchloſſen und der Poeſie vindicirt. Dies iſt
aber ein Irrthum und nach ſeiner feinen Art wird Leſſing
ſelbſt zum Zweifel geführt, ob nicht die Malerei, zur Er¬
reichung des Lächerlichen und Schrecklichen, ſich häßlicher
Formen bedienen dürfe? „Ich will es nicht wagen, ſo ge¬
radezu mit Nein hierauf zu antworten.“ Er unterſcheidet
nun eine unſchädliche Häßlichkeit für das Lächerliche und
eine ſchädliche für das Schreckliche und behauptet, daß in
der Malerei der erſte Eindruck des Lächerlichen und Schreck¬
lichen ſich bald verliere und nur das Unangenehme und Un¬
förmliche zurückbleibe. In ſeiner Ausführung nimmt er aber
die Materialien ſeines Beweiſes immer nur aus Werken der
Poeſie, nicht auch der Malerei her und hat deshalb, wie
wir tiefer unten beim Begriff des Ekelhaften im folgenden
Theil unſerer Unterſuchung ſehen werden, die Malerei zu
eng umgrenzt.
Es zeigt ſich unter den Künſten ein innerer Zuſammen¬
hang, der uns den immanenten Uebergang der einen in die
andere darſtellt. In ihrem vornehmſten Organ, in der Säule,
kündigt die Architektur ſchon die Statue an, aber die Säule
iſt deshalb doch keine Statue. Im Relief kündigt die Sculp¬
tur ſchon die Malerei an, aber das Relief als ſolches hat
noch kein maleriſches Princip, denn es hat noch keine Per¬
ſpective und noch keinen andern Schatten, als den der zu¬
fälligen Beleuchtung. Die Malerei drückt die Wärme des
individuellen Lebens ſchon mit ſolcher Macht aus, daß der
Ton nur zufällig zu fehlen ſcheint, aber das Spiel des Lichts,
die Töne der Farben ſind noch kein wirklicher Klang. Erſt
die Muſik ſchildert in ihren Tönen unſere Gefühle. Wir
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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