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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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daß diese Veränderung einen Widerspruch mit dem Inhalt
hervorriefe. Denken wir uns aber eine absichtliche historische
Incorrectheit, so muß dieselbe eine komische Wirkung haben,
weil sie als Parodie erscheinen muß. In einem Puppenspiel
von Glasbrenner, das Paradies, tritt z. B. Adam mit
folgenden Worten in die Scene:

"Ich freue mich sehr darüber, daß ich erschaffen bin.
Man kann nicht wissen, wozu das gut ist. (Er sieht sich um.)
Ein allerliebster botanischer Garten! Auch die blaue Decke da
oben und die warme Laterne drinn sind nicht ohne Verdienst.
Abgesehen davon, daß man es als fait accompli hinnehmen
muß, wie es einmal da, ist das All auch wirklich ziemlich
gelungen. Der Verfertiger hat Anspruch auf den Beifall des
Publicums. Es ist doch jetzt wenigstens der Anfang gemacht,
die Initiative für eine Schöpfung ergriffen, welche sich durch
geeignete Maaßregeln einer starken Regierung noch zu einem
ganz netten Aufenthalte heranbilden kann. (Er wirft seine
Blicke nach allen Seiten.) Für sechs Tage wirklich allens
Mögliche! (Schüttelt den Kopf.) An Einen übrigens, der
das vollbracht haben soll, glaube ich nicht. Es werden mehrere
gewesen sein: eine Union. Jedenfalls hat Radowitz dabei
geholfen, denn ohne Den kommt keine Schöpfung zu Stande.
u. s. w. u. s. w."

Unmöglich, rufen wir aus, kann Adam so gesprochen
haben! Aber dieser Adam des Puppenspiels spricht wirklich
so. Wir sehen, daß die Schöpfung hier mit einem Berliner
blasirten Kannegießer anfängt und müssen über diesen Wider¬
spruch des Begriffs des Protoplasten mit der Realität eines
raisonnirenden Weißbierphilisters lachen.

Das Correcte besteht im Allgemeinen in einer treuen
Beachtung der positiven Normalität der Natur und des

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 9

daß dieſe Veränderung einen Widerſpruch mit dem Inhalt
hervorriefe. Denken wir uns aber eine abſichtliche hiſtoriſche
Incorrectheit, ſo muß dieſelbe eine komiſche Wirkung haben,
weil ſie als Parodie erſcheinen muß. In einem Puppenſpiel
von Glasbrenner, das Paradies, tritt z. B. Adam mit
folgenden Worten in die Scene:

„Ich freue mich ſehr darüber, daß ich erſchaffen bin.
Man kann nicht wiſſen, wozu das gut iſt. (Er ſieht ſich um.)
Ein allerliebſter botaniſcher Garten! Auch die blaue Decke da
oben und die warme Laterne drinn ſind nicht ohne Verdienſt.
Abgeſehen davon, daß man es als fait accompli hinnehmen
muß, wie es einmal da, iſt das All auch wirklich ziemlich
gelungen. Der Verfertiger hat Anſpruch auf den Beifall des
Publicums. Es iſt doch jetzt wenigſtens der Anfang gemacht,
die Initiative für eine Schöpfung ergriffen, welche ſich durch
geeignete Maaßregeln einer ſtarken Regierung noch zu einem
ganz netten Aufenthalte heranbilden kann. (Er wirft ſeine
Blicke nach allen Seiten.) Für ſechs Tage wirklich allens
Mögliche! (Schüttelt den Kopf.) An Einen übrigens, der
das vollbracht haben ſoll, glaube ich nicht. Es werden mehrere
geweſen ſein: eine Union. Jedenfalls hat Radowitz dabei
geholfen, denn ohne Den kommt keine Schöpfung zu Stande.
u. ſ. w. u. ſ. w.“

Unmöglich, rufen wir aus, kann Adam ſo geſprochen
haben! Aber dieſer Adam des Puppenſpiels ſpricht wirklich
ſo. Wir ſehen, daß die Schöpfung hier mit einem Berliner
blaſirten Kannegießer anfängt und müſſen über dieſen Wider¬
ſpruch des Begriffs des Protoplaſten mit der Realität eines
raiſonnirenden Weißbierphiliſters lachen.

Das Correcte beſteht im Allgemeinen in einer treuen
Beachtung der poſitiven Normalität der Natur und des

Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 9
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[129/0151] daß dieſe Veränderung einen Widerſpruch mit dem Inhalt hervorriefe. Denken wir uns aber eine abſichtliche hiſtoriſche Incorrectheit, ſo muß dieſelbe eine komiſche Wirkung haben, weil ſie als Parodie erſcheinen muß. In einem Puppenſpiel von Glasbrenner, das Paradies, tritt z. B. Adam mit folgenden Worten in die Scene: „Ich freue mich ſehr darüber, daß ich erſchaffen bin. Man kann nicht wiſſen, wozu das gut iſt. (Er ſieht ſich um.) Ein allerliebſter botaniſcher Garten! Auch die blaue Decke da oben und die warme Laterne drinn ſind nicht ohne Verdienſt. Abgeſehen davon, daß man es als fait accompli hinnehmen muß, wie es einmal da, iſt das All auch wirklich ziemlich gelungen. Der Verfertiger hat Anſpruch auf den Beifall des Publicums. Es iſt doch jetzt wenigſtens der Anfang gemacht, die Initiative für eine Schöpfung ergriffen, welche ſich durch geeignete Maaßregeln einer ſtarken Regierung noch zu einem ganz netten Aufenthalte heranbilden kann. (Er wirft ſeine Blicke nach allen Seiten.) Für ſechs Tage wirklich allens Mögliche! (Schüttelt den Kopf.) An Einen übrigens, der das vollbracht haben ſoll, glaube ich nicht. Es werden mehrere geweſen ſein: eine Union. Jedenfalls hat Radowitz dabei geholfen, denn ohne Den kommt keine Schöpfung zu Stande. u. ſ. w. u. ſ. w.“ Unmöglich, rufen wir aus, kann Adam ſo geſprochen haben! Aber dieſer Adam des Puppenſpiels ſpricht wirklich ſo. Wir ſehen, daß die Schöpfung hier mit einem Berliner blaſirten Kannegießer anfängt und müſſen über dieſen Wider¬ ſpruch des Begriffs des Protoplaſten mit der Realität eines raiſonnirenden Weißbierphiliſters lachen. Das Correcte beſteht im Allgemeinen in einer treuen Beachtung der poſitiven Normalität der Natur und des Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 9

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/151>, abgerufen am 23.11.2024.