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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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den Sinn einer bloßen Copirung des zufällig Empirischen,
sondern den, durch Hingebung an dasselbe, durch exacte
Nachbildung seiner Gestalt, die ideale Form, das allgemeine
Maaß, zu erkennen. Natur und Geist sind wegen der Zu¬
fälligkeit und Willkür, die ihrer Erscheinung mit Nothwen¬
digkeit anhaftet, oft durch sich selbst gehemmt, diejenige Form
zu erreichen, die sie ihrem Wesen nach als dessen adäquate
Erscheinung anstreben. Ihre Realität bleibt hinter der Ten¬
denz ihres Begriffs oft zurück, weil sie sich in ihrer Noth¬
wendigkeit wie in ihrer Freiheit oft unabsichtlich stören. Die
Kunst befreiet die ästhetische Gestaltung von dieser Mi߬
lage, entfernt von ihr alles Verderbliche und Unwesentliche,
schält den reinen Kern heraus und erfreuet uns mit der
Ewigkeit des mangellosen Ideals. Durch einen nur empirischen
Eklekticismus ist dies nicht zu erreichen, denn je exacter die
Productionen eines solchen sind, wie bei Wachsfiguren,
Automaten, Daguerrotypen u. s. w., um so mehr entfernen
sie sich von der Freiheit und Wahrheit des Ideals. Ein
Daguerrotypportrait gibt uns nicht den ganzen Menschen,
sondern den Menschen, wie er gerade in diesem Augenblick
in ganz particulären Zuständen sich befindet, wie er von
einer vorübergehenden Stimmung beherrscht wird u. s. w.
Der Künstler muß das Ideal zuletzt aus der geistigen An¬
schauung heraus produciren, zu welcher der Gehorsam gegen
die Empirie ihm nur das Material liefern kann. Praxiteles
würde seine Idealstatue der Aphrodite niemals hervorgebracht
haben, hätte er sich darauf beschränken wollen, von den
Hetären, welche die Athenienser ihm für seine Studien zur
Verfügung stellten, nur eine treue Zusammensetzung ihrer
vorzüglichsten Schönheiten zu machen. Denken wir uns,
daß er von der einen den Busen, von der andern den Arm,

den Sinn einer bloßen Copirung des zufällig Empiriſchen,
ſondern den, durch Hingebung an daſſelbe, durch exacte
Nachbildung ſeiner Geſtalt, die ideale Form, das allgemeine
Maaß, zu erkennen. Natur und Geiſt ſind wegen der Zu¬
fälligkeit und Willkür, die ihrer Erſcheinung mit Nothwen¬
digkeit anhaftet, oft durch ſich ſelbſt gehemmt, diejenige Form
zu erreichen, die ſie ihrem Weſen nach als deſſen adäquate
Erſcheinung anſtreben. Ihre Realität bleibt hinter der Ten¬
denz ihres Begriffs oft zurück, weil ſie ſich in ihrer Noth¬
wendigkeit wie in ihrer Freiheit oft unabſichtlich ſtören. Die
Kunſt befreiet die äſthetiſche Geſtaltung von dieſer Mi߬
lage, entfernt von ihr alles Verderbliche und Unweſentliche,
ſchält den reinen Kern heraus und erfreuet uns mit der
Ewigkeit des mangelloſen Ideals. Durch einen nur empiriſchen
Eklekticismus iſt dies nicht zu erreichen, denn je exacter die
Productionen eines ſolchen ſind, wie bei Wachsfiguren,
Automaten, Daguerrotypen u. ſ. w., um ſo mehr entfernen
ſie ſich von der Freiheit und Wahrheit des Ideals. Ein
Daguerrotypportrait gibt uns nicht den ganzen Menſchen,
ſondern den Menſchen, wie er gerade in dieſem Augenblick
in ganz particulären Zuſtänden ſich befindet, wie er von
einer vorübergehenden Stimmung beherrſcht wird u. ſ. w.
Der Künſtler muß das Ideal zuletzt aus der geiſtigen An¬
ſchauung heraus produciren, zu welcher der Gehorſam gegen
die Empirie ihm nur das Material liefern kann. Praxiteles
würde ſeine Idealſtatue der Aphrodite niemals hervorgebracht
haben, hätte er ſich darauf beſchränken wollen, von den
Hetären, welche die Athenienſer ihm für ſeine Studien zur
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vorzüglichſten Schönheiten zu machen. Denken wir uns,
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[119/0141] den Sinn einer bloßen Copirung des zufällig Empiriſchen, ſondern den, durch Hingebung an daſſelbe, durch exacte Nachbildung ſeiner Geſtalt, die ideale Form, das allgemeine Maaß, zu erkennen. Natur und Geiſt ſind wegen der Zu¬ fälligkeit und Willkür, die ihrer Erſcheinung mit Nothwen¬ digkeit anhaftet, oft durch ſich ſelbſt gehemmt, diejenige Form zu erreichen, die ſie ihrem Weſen nach als deſſen adäquate Erſcheinung anſtreben. Ihre Realität bleibt hinter der Ten¬ denz ihres Begriffs oft zurück, weil ſie ſich in ihrer Noth¬ wendigkeit wie in ihrer Freiheit oft unabſichtlich ſtören. Die Kunſt befreiet die äſthetiſche Geſtaltung von dieſer Mi߬ lage, entfernt von ihr alles Verderbliche und Unweſentliche, ſchält den reinen Kern heraus und erfreuet uns mit der Ewigkeit des mangelloſen Ideals. Durch einen nur empiriſchen Eklekticismus iſt dies nicht zu erreichen, denn je exacter die Productionen eines ſolchen ſind, wie bei Wachsfiguren, Automaten, Daguerrotypen u. ſ. w., um ſo mehr entfernen ſie ſich von der Freiheit und Wahrheit des Ideals. Ein Daguerrotypportrait gibt uns nicht den ganzen Menſchen, ſondern den Menſchen, wie er gerade in dieſem Augenblick in ganz particulären Zuſtänden ſich befindet, wie er von einer vorübergehenden Stimmung beherrſcht wird u. ſ. w. Der Künſtler muß das Ideal zuletzt aus der geiſtigen An¬ ſchauung heraus produciren, zu welcher der Gehorſam gegen die Empirie ihm nur das Material liefern kann. Praxiteles würde ſeine Idealſtatue der Aphrodite niemals hervorgebracht haben, hätte er ſich darauf beſchränken wollen, von den Hetären, welche die Athenienſer ihm für ſeine Studien zur Verfügung ſtellten, nur eine treue Zuſammenſetzung ihrer vorzüglichſten Schönheiten zu machen. Denken wir uns, daß er von der einen den Buſen, von der andern den Arm,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/141>, abgerufen am 24.11.2024.