Die abstracten Bestimmungen der Formlosigkeit gelten für alles Häßliche überhaupt. Das Häßliche ist aber in con¬ creto theils ein natürliches, theils ein geistiges. Die All¬ gemeinheit der Amorphie, der Asymmetrie und Disharmonie wird in der Natur oder im Geist zu einem individuellen Da¬ sein. Als ein solches ist es der Nothwendigkeit unterworfen, in seiner Erscheinung den allgemeinen Begriff, der sein Wesen ausmacht, zu realisiren. Die Uebereinstimmung der Realität mit dem Begriff, die objective Erfüllung der Gesetzmäßigkeit, macht die Correctheit aus. Sie besteht also darin, daß die ästhetische Gestalt nach ihrer normalen Eigenthümlichkeit dar¬ gestellt, daß also nichts, das ihr nach ihrem Begriff zugehört, fortgelassen, nichts, das ihrem Wesen fremd ist, hinzugefügt, nichts an ihr gegen seine Normalität verändert werde. In diesen Negationen liegt der Begriff der Incorrectheit.
Die Incorrectheit führt in das Gebiet der einzelnen Künste. Wollte man sich aber auf dieselben einlassen, so würde man in ein unendliches und überflüssiges Detail ge¬ rathen. Man würde nämlich jeder positiven Bestimmung den Kanon hinzuzufügen haben, daß ein Verstoß gegen sie incorrect sei. Welch' eine ermüdende Weitschweifigkeit würde es werden, alle Regeln der Kunst aufstellen und bei jeder die Litanei wiederholen zu müssen, daß ein Verfehlen derselben
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Zweiter Abſchnitt.
Die Incorrectheit.
Die abſtracten Beſtimmungen der Formloſigkeit gelten für alles Häßliche überhaupt. Das Häßliche iſt aber in con¬ creto theils ein natürliches, theils ein geiſtiges. Die All¬ gemeinheit der Amorphie, der Aſymmetrie und Disharmonie wird in der Natur oder im Geiſt zu einem individuellen Da¬ ſein. Als ein ſolches iſt es der Nothwendigkeit unterworfen, in ſeiner Erſcheinung den allgemeinen Begriff, der ſein Weſen ausmacht, zu realiſiren. Die Uebereinſtimmung der Realität mit dem Begriff, die objective Erfüllung der Geſetzmäßigkeit, macht die Correctheit aus. Sie beſteht alſo darin, daß die äſthetiſche Geſtalt nach ihrer normalen Eigenthümlichkeit dar¬ geſtellt, daß alſo nichts, das ihr nach ihrem Begriff zugehört, fortgelaſſen, nichts, das ihrem Weſen fremd iſt, hinzugefügt, nichts an ihr gegen ſeine Normalität verändert werde. In dieſen Negationen liegt der Begriff der Incorrectheit.
Die Incorrectheit führt in das Gebiet der einzelnen Künſte. Wollte man ſich aber auf dieſelben einlaſſen, ſo würde man in ein unendliches und überflüſſiges Detail ge¬ rathen. Man würde nämlich jeder poſitiven Beſtimmung den Kanon hinzuzufügen haben, daß ein Verſtoß gegen ſie incorrect ſei. Welch' eine ermüdende Weitſchweifigkeit würde es werden, alle Regeln der Kunſt aufſtellen und bei jeder die Litanei wiederholen zu müſſen, daß ein Verfehlen derſelben
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Zweiter Abſchnitt .
Die Incorrectheit.
Die abſtracten Beſtimmungen der Formloſigkeit gelten
für alles Häßliche überhaupt. Das Häßliche iſt aber in con¬
creto theils ein natürliches, theils ein geiſtiges. Die All¬
gemeinheit der Amorphie, der Aſymmetrie und Disharmonie
wird in der Natur oder im Geiſt zu einem individuellen Da¬
ſein. Als ein ſolches iſt es der Nothwendigkeit unterworfen,
in ſeiner Erſcheinung den allgemeinen Begriff, der ſein Weſen
ausmacht, zu realiſiren. Die Uebereinſtimmung der Realität
mit dem Begriff, die objective Erfüllung der Geſetzmäßigkeit,
macht die Correctheit aus. Sie beſteht alſo darin, daß die
äſthetiſche Geſtalt nach ihrer normalen Eigenthümlichkeit dar¬
geſtellt, daß alſo nichts, das ihr nach ihrem Begriff zugehört,
fortgelaſſen, nichts, das ihrem Weſen fremd iſt, hinzugefügt,
nichts an ihr gegen ſeine Normalität verändert werde. In
dieſen Negationen liegt der Begriff der Incorrectheit.
Die Incorrectheit führt in das Gebiet der einzelnen
Künſte. Wollte man ſich aber auf dieſelben einlaſſen, ſo
würde man in ein unendliches und überflüſſiges Detail ge¬
rathen. Man würde nämlich jeder poſitiven Beſtimmung
den Kanon hinzuzufügen haben, daß ein Verſtoß gegen ſie
incorrect ſei. Welch' eine ermüdende Weitſchweifigkeit würde
es werden, alle Regeln der Kunſt aufſtellen und bei jeder
die Litanei wiederholen zu müſſen, daß ein Verfehlen derſelben
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/137>, abgerufen am 19.11.2024.
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