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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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laubt, statt einer objectiven, sich von selbst gestaltenden
Auflösung eines Widerspruchs eine nur subjective und phan¬
tastische zu geben, die uns in unserer Erwartung täuscht. --
Jedoch ist sich wohl daran zu erinnern, daß man in der
Betrachtung des Schönen, sei es das der Natur, sei es
das der Kunst, nicht liberal genug verfahren kann. Je ge¬
wisser die großen ästhetischen Grundsätze für uns sein müssen,
je unverbrüchlicher wir an ihrer ewigen Wahrheit festzuhalten
haben, um so nachsichtiger können wir gegen die concrete
Gestaltung des Schönen sein, wenn sie oft das Verschiedenste
und Widersprechendste in sich zusammenfaßt. Wir haben
zuvor, und mit Fug, zwischen dem Interessanten und dem
Poetischen unterschieden; um jedoch mißverständliche Auf¬
fassung zu verhüten, bemerken wir, daß natürlich das wahr¬
haft Poetische zugleich auch höchst interessant sein kann.
Da gibt es Felsengegenden, so fürchterlich zerrissen, so
wunderlich zerklüftet, daß sie nicht schön und nicht häßlich
im Sinn des reinen Ideals und seiner Negation wohl aber
interessant zu nennen sind und als interessant eine wilde,
schauerlich seltsame Poesie athmen können. Da gibt es
Bauwerke, in denen der Styl verschiedener Jahrhunderte
sich so wunderbar verschmolzen hat, daß sie bei aller
Heterogeneität der besondern Bestandtheile doch ein höchst
interessantes, disharmonisch-harmonisches Ganzes ausmachen.
Da gibt es Gedichte, die keiner entschiedenen Gattung an¬
gehören und deshalb ästhetisch nicht eine vollkommen reine
Wirkung zu haben vermögen, aber eine Fülle gediegener
Poesie besitzen. Harold's Pilgerfahrt von Byron ist
kein Epos, kein Melos, kein didaktisch-descriptives Gedicht,
keine Elegie -- es ist dies Alles zusammen in einer interessanten
Vereinheit.

laubt, ſtatt einer objectiven, ſich von ſelbſt geſtaltenden
Auflöſung eines Widerſpruchs eine nur ſubjective und phan¬
taſtiſche zu geben, die uns in unſerer Erwartung täuſcht. —
Jedoch iſt ſich wohl daran zu erinnern, daß man in der
Betrachtung des Schönen, ſei es das der Natur, ſei es
das der Kunſt, nicht liberal genug verfahren kann. Je ge¬
wiſſer die großen äſthetiſchen Grundſätze für uns ſein müſſen,
je unverbrüchlicher wir an ihrer ewigen Wahrheit feſtzuhalten
haben, um ſo nachſichtiger können wir gegen die concrete
Geſtaltung des Schönen ſein, wenn ſie oft das Verſchiedenſte
und Widerſprechendſte in ſich zuſammenfaßt. Wir haben
zuvor, und mit Fug, zwiſchen dem Intereſſanten und dem
Poetiſchen unterſchieden; um jedoch mißverſtändliche Auf¬
faſſung zu verhüten, bemerken wir, daß natürlich das wahr¬
haft Poetiſche zugleich auch höchſt intereſſant ſein kann.
Da gibt es Felſengegenden, ſo fürchterlich zerriſſen, ſo
wunderlich zerklüftet, daß ſie nicht ſchön und nicht häßlich
im Sinn des reinen Ideals und ſeiner Negation wohl aber
intereſſant zu nennen ſind und als intereſſant eine wilde,
ſchauerlich ſeltſame Poeſie athmen können. Da gibt es
Bauwerke, in denen der Styl verſchiedener Jahrhunderte
ſich ſo wunderbar verſchmolzen hat, daß ſie bei aller
Heterogeneität der beſondern Beſtandtheile doch ein höchſt
intereſſantes, disharmoniſch-harmoniſches Ganzes ausmachen.
Da gibt es Gedichte, die keiner entſchiedenen Gattung an¬
gehören und deshalb äſthetiſch nicht eine vollkommen reine
Wirkung zu haben vermögen, aber eine Fülle gediegener
Poeſie beſitzen. Harold's Pilgerfahrt von Byron iſt
kein Epos, kein Melos, kein didaktiſch-descriptives Gedicht,
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Vereinheit.

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[108/0130] laubt, ſtatt einer objectiven, ſich von ſelbſt geſtaltenden Auflöſung eines Widerſpruchs eine nur ſubjective und phan¬ taſtiſche zu geben, die uns in unſerer Erwartung täuſcht. — Jedoch iſt ſich wohl daran zu erinnern, daß man in der Betrachtung des Schönen, ſei es das der Natur, ſei es das der Kunſt, nicht liberal genug verfahren kann. Je ge¬ wiſſer die großen äſthetiſchen Grundſätze für uns ſein müſſen, je unverbrüchlicher wir an ihrer ewigen Wahrheit feſtzuhalten haben, um ſo nachſichtiger können wir gegen die concrete Geſtaltung des Schönen ſein, wenn ſie oft das Verſchiedenſte und Widerſprechendſte in ſich zuſammenfaßt. Wir haben zuvor, und mit Fug, zwiſchen dem Intereſſanten und dem Poetiſchen unterſchieden; um jedoch mißverſtändliche Auf¬ faſſung zu verhüten, bemerken wir, daß natürlich das wahr¬ haft Poetiſche zugleich auch höchſt intereſſant ſein kann. Da gibt es Felſengegenden, ſo fürchterlich zerriſſen, ſo wunderlich zerklüftet, daß ſie nicht ſchön und nicht häßlich im Sinn des reinen Ideals und ſeiner Negation wohl aber intereſſant zu nennen ſind und als intereſſant eine wilde, ſchauerlich ſeltſame Poeſie athmen können. Da gibt es Bauwerke, in denen der Styl verſchiedener Jahrhunderte ſich ſo wunderbar verſchmolzen hat, daß ſie bei aller Heterogeneität der beſondern Beſtandtheile doch ein höchſt intereſſantes, disharmoniſch-harmoniſches Ganzes ausmachen. Da gibt es Gedichte, die keiner entſchiedenen Gattung an¬ gehören und deshalb äſthetiſch nicht eine vollkommen reine Wirkung zu haben vermögen, aber eine Fülle gediegener Poeſie beſitzen. Harold's Pilgerfahrt von Byron iſt kein Epos, kein Melos, kein didaktiſch-descriptives Gedicht, keine Elegie — es iſt dies Alles zuſammen in einer intereſſanten Vereinheit.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/130>, abgerufen am 27.11.2024.