Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

heirathet am Hof ihres Vaters, des Deutschen allegorischen
Fürsten Rudolphe, an der Schwindsucht sterben zu lassen (23).

Eine wahrhafte Disharmonie wird häßlich, wenn
ihre Auflösung falsch ist, denn in diesem Fall wird
offenbar ein Widerspruch im Widerspruch erzeugt. In
der folgerechten Entwicklung des Widerspruchs würde die
Gesetzmäßigkeit der in ihm wirksamen Einheit allmälig haben
hervortreten können und diese Anschauung der innern Noth¬
wendigkeit uns Befriedigung gewährt haben, weil wir den
Untergang des Disharmonischen durch die Harmonie begreifen,
in welche sie sich auflöst, statt daß das Ablenken auf einen
dem Eingang innerlich nicht entsprechenden Ausgang offenbar
häßlich ist. Dies ist z. B. dem sonst so klaren Prutz in
seinem Karl von Bourbon begegnet. Statt der Poesie
der Geschichte gehorsam zu sein, statt ihn vor den Mauern
Roms im Kampf gegen den Papst durch Benvenuto Cellinis
Kugel fallen zu lassen, läßt er ihn schon mehre Jahre zuvor
auf dem Schlachtfelde von Pavia an Gift sterben, das er
aus der Ringkapsel einer aus einem Kloster entflohenen, ins
Schlachtgetümmel a propos einvagabondirenden Halbgeliebten
kredenzt erhält. Verwundet, erschöpft, im Wahn, mit dem
Trunk sich zu erkräftigen, stirbt der große Connetable langsam
mit langen kleinathmigen Reden. Welch' ein sentimental
trister Contrast mit seinem ersten kühnen Auftreten, in
welchem er Frankreichs Wohl und Ruhm dem Könige von
Frankreich gegenüber geltend macht. Welch' eine Disharmonie!
Welch' eine falsche Harmonie, daß die elende Vergifterin,
ein unseliges romantisches Geschöpf, sich natürlich mitver¬
giftet. Eine rasche Kugel im heißen Kampf durchs kühne
Herz, wie die Geschichte es gethan hat, das war hier allein
harmonisch und poetisch. -- Die Romantik hat sich oft er¬

heirathet am Hof ihres Vaters, des Deutſchen allegoriſchen
Fürſten Rudolphe, an der Schwindſucht ſterben zu laſſen (23).

Eine wahrhafte Disharmonie wird häßlich, wenn
ihre Auflöſung falſch iſt, denn in dieſem Fall wird
offenbar ein Widerſpruch im Widerſpruch erzeugt. In
der folgerechten Entwicklung des Widerſpruchs würde die
Geſetzmäßigkeit der in ihm wirkſamen Einheit allmälig haben
hervortreten können und dieſe Anſchauung der innern Noth¬
wendigkeit uns Befriedigung gewährt haben, weil wir den
Untergang des Diſharmoniſchen durch die Harmonie begreifen,
in welche ſie ſich auflöſt, ſtatt daß das Ablenken auf einen
dem Eingang innerlich nicht entſprechenden Ausgang offenbar
häßlich iſt. Dies iſt z. B. dem ſonſt ſo klaren Prutz in
ſeinem Karl von Bourbon begegnet. Statt der Poeſie
der Geſchichte gehorſam zu ſein, ſtatt ihn vor den Mauern
Roms im Kampf gegen den Papſt durch Benvenuto Cellinis
Kugel fallen zu laſſen, läßt er ihn ſchon mehre Jahre zuvor
auf dem Schlachtfelde von Pavia an Gift ſterben, das er
aus der Ringkapſel einer aus einem Kloſter entflohenen, ins
Schlachtgetümmel à propos einvagabondirenden Halbgeliebten
kredenzt erhält. Verwundet, erſchöpft, im Wahn, mit dem
Trunk ſich zu erkräftigen, ſtirbt der große Connetable langſam
mit langen kleinathmigen Reden. Welch' ein ſentimental
triſter Contraſt mit ſeinem erſten kühnen Auftreten, in
welchem er Frankreichs Wohl und Ruhm dem Könige von
Frankreich gegenüber geltend macht. Welch' eine Disharmonie!
Welch' eine falſche Harmonie, daß die elende Vergifterin,
ein unſeliges romantiſches Geſchöpf, ſich natürlich mitver¬
giftet. Eine raſche Kugel im heißen Kampf durchs kühne
Herz, wie die Geſchichte es gethan hat, das war hier allein
harmoniſch und poetiſch. — Die Romantik hat ſich oft er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0129" n="107"/>
heirathet am Hof ihres Vaters, des Deut&#x017F;chen allegori&#x017F;chen<lb/>
Für&#x017F;ten Rudolphe, an der Schwind&#x017F;ucht &#x017F;terben zu la&#x017F;&#x017F;en (23).</p><lb/>
            <p>Eine wahrhafte Disharmonie <hi rendition="#g">wird</hi> häßlich, wenn<lb/>
ihre <hi rendition="#g">Auflö&#x017F;ung fal&#x017F;ch</hi> i&#x017F;t, denn in die&#x017F;em Fall wird<lb/>
offenbar ein <hi rendition="#g">Wider&#x017F;pruch</hi> im <hi rendition="#g">Wider&#x017F;pruch</hi> erzeugt. In<lb/>
der folgerechten Entwicklung des Wider&#x017F;pruchs würde die<lb/>
Ge&#x017F;etzmäßigkeit der in ihm wirk&#x017F;amen Einheit allmälig haben<lb/>
hervortreten können und die&#x017F;e An&#x017F;chauung der innern Noth¬<lb/>
wendigkeit uns Befriedigung gewährt haben, weil wir den<lb/>
Untergang des Di&#x017F;harmoni&#x017F;chen durch die Harmonie begreifen,<lb/>
in welche &#x017F;ie &#x017F;ich auflö&#x017F;t, &#x017F;tatt daß das Ablenken auf einen<lb/>
dem Eingang innerlich nicht ent&#x017F;prechenden Ausgang offenbar<lb/>
häßlich i&#x017F;t. Dies i&#x017F;t z. B. dem &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o klaren <hi rendition="#g">Prutz</hi> in<lb/>
&#x017F;einem <hi rendition="#g">Karl</hi> von <hi rendition="#g">Bourbon</hi> begegnet. Statt der Poe&#x017F;ie<lb/>
der Ge&#x017F;chichte gehor&#x017F;am zu &#x017F;ein, &#x017F;tatt ihn vor den Mauern<lb/>
Roms im Kampf gegen den Pap&#x017F;t durch Benvenuto Cellinis<lb/>
Kugel fallen zu la&#x017F;&#x017F;en, läßt er ihn &#x017F;chon mehre Jahre zuvor<lb/>
auf dem Schlachtfelde von Pavia an Gift &#x017F;terben, das er<lb/>
aus der Ringkap&#x017F;el einer aus einem Klo&#x017F;ter entflohenen, ins<lb/>
Schlachtgetümmel <hi rendition="#aq">à propos</hi> einvagabondirenden Halbgeliebten<lb/>
kredenzt erhält. Verwundet, er&#x017F;chöpft, im Wahn, mit dem<lb/>
Trunk &#x017F;ich zu erkräftigen, &#x017F;tirbt der große Connetable lang&#x017F;am<lb/>
mit langen kleinathmigen Reden. Welch' ein &#x017F;entimental<lb/>
tri&#x017F;ter Contra&#x017F;t mit &#x017F;einem er&#x017F;ten kühnen Auftreten, in<lb/>
welchem er Frankreichs Wohl und Ruhm dem Könige von<lb/>
Frankreich gegenüber geltend macht. Welch' eine Disharmonie!<lb/>
Welch' eine fal&#x017F;che Harmonie, daß die elende Vergifterin,<lb/>
ein un&#x017F;eliges romanti&#x017F;ches Ge&#x017F;chöpf, &#x017F;ich natürlich mitver¬<lb/>
giftet. Eine ra&#x017F;che Kugel im heißen Kampf durchs kühne<lb/>
Herz, wie die Ge&#x017F;chichte es gethan hat, das war hier allein<lb/>
harmoni&#x017F;ch und poeti&#x017F;ch. &#x2014; Die Romantik hat &#x017F;ich oft er¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0129] heirathet am Hof ihres Vaters, des Deutſchen allegoriſchen Fürſten Rudolphe, an der Schwindſucht ſterben zu laſſen (23). Eine wahrhafte Disharmonie wird häßlich, wenn ihre Auflöſung falſch iſt, denn in dieſem Fall wird offenbar ein Widerſpruch im Widerſpruch erzeugt. In der folgerechten Entwicklung des Widerſpruchs würde die Geſetzmäßigkeit der in ihm wirkſamen Einheit allmälig haben hervortreten können und dieſe Anſchauung der innern Noth¬ wendigkeit uns Befriedigung gewährt haben, weil wir den Untergang des Diſharmoniſchen durch die Harmonie begreifen, in welche ſie ſich auflöſt, ſtatt daß das Ablenken auf einen dem Eingang innerlich nicht entſprechenden Ausgang offenbar häßlich iſt. Dies iſt z. B. dem ſonſt ſo klaren Prutz in ſeinem Karl von Bourbon begegnet. Statt der Poeſie der Geſchichte gehorſam zu ſein, ſtatt ihn vor den Mauern Roms im Kampf gegen den Papſt durch Benvenuto Cellinis Kugel fallen zu laſſen, läßt er ihn ſchon mehre Jahre zuvor auf dem Schlachtfelde von Pavia an Gift ſterben, das er aus der Ringkapſel einer aus einem Kloſter entflohenen, ins Schlachtgetümmel à propos einvagabondirenden Halbgeliebten kredenzt erhält. Verwundet, erſchöpft, im Wahn, mit dem Trunk ſich zu erkräftigen, ſtirbt der große Connetable langſam mit langen kleinathmigen Reden. Welch' ein ſentimental triſter Contraſt mit ſeinem erſten kühnen Auftreten, in welchem er Frankreichs Wohl und Ruhm dem Könige von Frankreich gegenüber geltend macht. Welch' eine Disharmonie! Welch' eine falſche Harmonie, daß die elende Vergifterin, ein unſeliges romantiſches Geſchöpf, ſich natürlich mitver¬ giftet. Eine raſche Kugel im heißen Kampf durchs kühne Herz, wie die Geſchichte es gethan hat, das war hier allein harmoniſch und poetiſch. — Die Romantik hat ſich oft er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/129
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/129>, abgerufen am 23.11.2024.