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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Grün identisch in der Farbe; Weiß und Schwarz in der
Farblosigkeit; Gut und Böse in der Freiheit; Starres und
Flüssiges in der Materie u. s. w. Der falsche Contrast geht
dagegen aus der qualitativen Allgemeinheit heraus und
bringt das scheinbar Entgegengesetzte, wie wenn dem Großen
nicht das Kleine oder selbst Große, sondern das Geringe oder
Schwache entgegengestellt wird. Denn dem Geringen steht
das Bedeutende, Vornehme, Gediegene, dem Schwachen das
Starke, Mächtige gegenüber. Weil solche Formen allerdings
auch wieder einen gewissen Zusammenhang haben, weil sie zu
Synonymen werden können, so erklärt sich, warum hier ein
Fehlgreifen sich auch bei dem bessern Künstler einschleichen kann.
Unsere moderne Lyrik hat nach der Richtung der Sprache hin,
die ihr der facettirte Schliff der Brillantdiction von Ana¬
stasius Grün
gegeben, viele solcher hybriden Contraste her¬
vorgebracht. Man kann ihren Ursprung aber bei A. Grün
selber und sogar in seinen besten Gedichten entdecken. Selbst
in dem schönen, mit Recht so beliebten Gedicht: der letzte
Dichter
, haben sich solche Fälschungen eingeschlichen, z. B.
wenn es heißt:

"So lang der Wald noch rauschet
Und einen Müden kühlt."

Der Müdigkeit steht die Ruhe, dem Kühlen das Bren¬
nende entgegen. Müdigkeit und Kühlung aber passen nicht
zusammen. Das Rauschen, mit dem der Wald eingeführt
wird, contrastirt mit dem Schweigen der baumlosen Ebene
oder mit seinem eigenen. Man sieht, A. Grün hat hier
vieles zusammenfassen wollen. Der Wald soll den in der
Hitze der freien Ebene Ermüdeten mit dem Rauschen seiner
Zweige Kühlung zufächeln; allein diese Vorstellung ist un¬
vollkommen ausgedrückt.

Grün identiſch in der Farbe; Weiß und Schwarz in der
Farbloſigkeit; Gut und Böſe in der Freiheit; Starres und
Flüſſiges in der Materie u. ſ. w. Der falſche Contraſt geht
dagegen aus der qualitativen Allgemeinheit heraus und
bringt das ſcheinbar Entgegengeſetzte, wie wenn dem Großen
nicht das Kleine oder ſelbſt Große, ſondern das Geringe oder
Schwache entgegengeſtellt wird. Denn dem Geringen ſteht
das Bedeutende, Vornehme, Gediegene, dem Schwachen das
Starke, Mächtige gegenüber. Weil ſolche Formen allerdings
auch wieder einen gewiſſen Zuſammenhang haben, weil ſie zu
Synonymen werden können, ſo erklärt ſich, warum hier ein
Fehlgreifen ſich auch bei dem beſſern Künſtler einſchleichen kann.
Unſere moderne Lyrik hat nach der Richtung der Sprache hin,
die ihr der facettirte Schliff der Brillantdiction von Ana¬
ſtaſius Grün
gegeben, viele ſolcher hybriden Contraſte her¬
vorgebracht. Man kann ihren Urſprung aber bei A. Grün
ſelber und ſogar in ſeinen beſten Gedichten entdecken. Selbſt
in dem ſchönen, mit Recht ſo beliebten Gedicht: der letzte
Dichter
, haben ſich ſolche Fälſchungen eingeſchlichen, z. B.
wenn es heißt:

„So lang der Wald noch rauſchet
Und einen Müden kühlt.“

Der Müdigkeit ſteht die Ruhe, dem Kühlen das Bren¬
nende entgegen. Müdigkeit und Kühlung aber paſſen nicht
zuſammen. Das Rauſchen, mit dem der Wald eingeführt
wird, contraſtirt mit dem Schweigen der baumloſen Ebene
oder mit ſeinem eigenen. Man ſieht, A. Grün hat hier
vieles zuſammenfaſſen wollen. Der Wald ſoll den in der
Hitze der freien Ebene Ermüdeten mit dem Rauſchen ſeiner
Zweige Kühlung zufächeln; allein dieſe Vorſtellung iſt un¬
vollkommen ausgedrückt.

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[93/0115] Grün identiſch in der Farbe; Weiß und Schwarz in der Farbloſigkeit; Gut und Böſe in der Freiheit; Starres und Flüſſiges in der Materie u. ſ. w. Der falſche Contraſt geht dagegen aus der qualitativen Allgemeinheit heraus und bringt das ſcheinbar Entgegengeſetzte, wie wenn dem Großen nicht das Kleine oder ſelbſt Große, ſondern das Geringe oder Schwache entgegengeſtellt wird. Denn dem Geringen ſteht das Bedeutende, Vornehme, Gediegene, dem Schwachen das Starke, Mächtige gegenüber. Weil ſolche Formen allerdings auch wieder einen gewiſſen Zuſammenhang haben, weil ſie zu Synonymen werden können, ſo erklärt ſich, warum hier ein Fehlgreifen ſich auch bei dem beſſern Künſtler einſchleichen kann. Unſere moderne Lyrik hat nach der Richtung der Sprache hin, die ihr der facettirte Schliff der Brillantdiction von Ana¬ ſtaſius Grün gegeben, viele ſolcher hybriden Contraſte her¬ vorgebracht. Man kann ihren Urſprung aber bei A. Grün ſelber und ſogar in ſeinen beſten Gedichten entdecken. Selbſt in dem ſchönen, mit Recht ſo beliebten Gedicht: der letzte Dichter, haben ſich ſolche Fälſchungen eingeſchlichen, z. B. wenn es heißt: „So lang der Wald noch rauſchet Und einen Müden kühlt.“ Der Müdigkeit ſteht die Ruhe, dem Kühlen das Bren¬ nende entgegen. Müdigkeit und Kühlung aber paſſen nicht zuſammen. Das Rauſchen, mit dem der Wald eingeführt wird, contraſtirt mit dem Schweigen der baumloſen Ebene oder mit ſeinem eigenen. Man ſieht, A. Grün hat hier vieles zuſammenfaſſen wollen. Der Wald ſoll den in der Hitze der freien Ebene Ermüdeten mit dem Rauſchen ſeiner Zweige Kühlung zufächeln; allein dieſe Vorſtellung iſt un¬ vollkommen ausgedrückt.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/115>, abgerufen am 27.11.2024.