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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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erst ausgeführt wäre, daß späterhin noch ein zweiter Thurm,
allein in einem andern Styl hinzugefügt würde, so wäre
zwar die Symmetrie da, denn es sollten ja zwei Thürme
sein, aber sie wäre zugleich in einer dem Begriff des Ganzen
nicht entsprechenden, seiner Einheit vielmehr qualitativ wider¬
sprechenden Weise vorhanden. Auf Theatern kommen durch
Mängel der Garderobe öfter sehr lustige Dinge in dieser
Form der Unsymmetrie vor. -- Oder die Symmetrie kann
qualitativ der Einheit der Gestalt entsprechen, allein quan¬
titativ
das Gleichmaaß verletzen, so ist auch diese Unförm¬
lichkeit häßlich. In den bildenden Künsten werden sehr viel
Fehler dieser Art gemacht. Dem Begriff nach sollte von zwei
Parallelthürmen der eine nicht höher als der andere; von
zwei Flügeln eines Baues der eine nicht länger als der andere;
von zwei durch ein Portal geschiedenen Fensterreihen die An¬
zahl der einen nicht größer, als die der andern; von einer
Statue der eine Arm nicht länger, als der andere sein u. s. w.
Krüppel stellen uns vornämlich diesen Mangel der Symmetrie
dar, wie wenn ein Arm oder Fuß verschrumpft oder ver¬
krümmt ist.

Die Asymmetrie ist nicht einfache Gestaltlosigkeit, sie
ist entschiedene Ungestalt. Byron hat in einem phantastischen
Drama, the transformed disformed, die Qualen eines geist¬
starken Bukligen geschildert. Er läßt ihn, da selbst die
Mutter ihn verläugnet, den Tod suchen, in diesem Augen¬
blick von einem mystriösen Fremden unterbrochen werden, der
ihm jede andere Form zum Geschenk anbietet und ihm sagt:

Wenn ich mit deinem Klumpfuß einen Büffel,
Das schnelle Dromedar mit deiner Höhe
Des Hökers höhnen wollte, jubelten
Die Thiere ob des Compliments. Und doch

erſt ausgeführt wäre, daß ſpäterhin noch ein zweiter Thurm,
allein in einem andern Styl hinzugefügt würde, ſo wäre
zwar die Symmetrie da, denn es ſollten ja zwei Thürme
ſein, aber ſie wäre zugleich in einer dem Begriff des Ganzen
nicht entſprechenden, ſeiner Einheit vielmehr qualitativ wider¬
ſprechenden Weiſe vorhanden. Auf Theatern kommen durch
Mängel der Garderobe öfter ſehr luſtige Dinge in dieſer
Form der Unſymmetrie vor. — Oder die Symmetrie kann
qualitativ der Einheit der Geſtalt entſprechen, allein quan¬
titativ
das Gleichmaaß verletzen, ſo iſt auch dieſe Unförm¬
lichkeit häßlich. In den bildenden Künſten werden ſehr viel
Fehler dieſer Art gemacht. Dem Begriff nach ſollte von zwei
Parallelthürmen der eine nicht höher als der andere; von
zwei Flügeln eines Baues der eine nicht länger als der andere;
von zwei durch ein Portal geſchiedenen Fenſterreihen die An¬
zahl der einen nicht größer, als die der andern; von einer
Statue der eine Arm nicht länger, als der andere ſein u. ſ. w.
Krüppel ſtellen uns vornämlich dieſen Mangel der Symmetrie
dar, wie wenn ein Arm oder Fuß verſchrumpft oder ver¬
krümmt iſt.

Die Aſymmetrie iſt nicht einfache Geſtaltloſigkeit, ſie
iſt entſchiedene Ungeſtalt. Byron hat in einem phantaſtiſchen
Drama, the transformed disformed, die Qualen eines geiſt¬
ſtarken Bukligen geſchildert. Er läßt ihn, da ſelbſt die
Mutter ihn verläugnet, den Tod ſuchen, in dieſem Augen¬
blick von einem myſtriöſen Fremden unterbrochen werden, der
ihm jede andere Form zum Geſchenk anbietet und ihm ſagt:

Wenn ich mit deinem Klumpfuß einen Büffel,
Das ſchnelle Dromedar mit deiner Höhe
Des Hökers höhnen wollte, jubelten
Die Thiere ob des Compliments. Und doch

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[86/0108] erſt ausgeführt wäre, daß ſpäterhin noch ein zweiter Thurm, allein in einem andern Styl hinzugefügt würde, ſo wäre zwar die Symmetrie da, denn es ſollten ja zwei Thürme ſein, aber ſie wäre zugleich in einer dem Begriff des Ganzen nicht entſprechenden, ſeiner Einheit vielmehr qualitativ wider¬ ſprechenden Weiſe vorhanden. Auf Theatern kommen durch Mängel der Garderobe öfter ſehr luſtige Dinge in dieſer Form der Unſymmetrie vor. — Oder die Symmetrie kann qualitativ der Einheit der Geſtalt entſprechen, allein quan¬ titativ das Gleichmaaß verletzen, ſo iſt auch dieſe Unförm¬ lichkeit häßlich. In den bildenden Künſten werden ſehr viel Fehler dieſer Art gemacht. Dem Begriff nach ſollte von zwei Parallelthürmen der eine nicht höher als der andere; von zwei Flügeln eines Baues der eine nicht länger als der andere; von zwei durch ein Portal geſchiedenen Fenſterreihen die An¬ zahl der einen nicht größer, als die der andern; von einer Statue der eine Arm nicht länger, als der andere ſein u. ſ. w. Krüppel ſtellen uns vornämlich dieſen Mangel der Symmetrie dar, wie wenn ein Arm oder Fuß verſchrumpft oder ver¬ krümmt iſt. Die Aſymmetrie iſt nicht einfache Geſtaltloſigkeit, ſie iſt entſchiedene Ungeſtalt. Byron hat in einem phantaſtiſchen Drama, the transformed disformed, die Qualen eines geiſt¬ ſtarken Bukligen geſchildert. Er läßt ihn, da ſelbſt die Mutter ihn verläugnet, den Tod ſuchen, in dieſem Augen¬ blick von einem myſtriöſen Fremden unterbrochen werden, der ihm jede andere Form zum Geſchenk anbietet und ihm ſagt: Wenn ich mit deinem Klumpfuß einen Büffel, Das ſchnelle Dromedar mit deiner Höhe Des Hökers höhnen wollte, jubelten Die Thiere ob des Compliments. Und doch

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/108>, abgerufen am 27.11.2024.