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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Lehrsätze, vor Jahrhunderten von verkehrten Köpfen
erfunden, müssen wir auswendig lernen; ... ja,
wenn ich all das Erbärmliche wollte beschreiben! --
Und wer das dürre Zeug nicht mag und kann,
der wird von den Lehrern mißhandelt. Wir sind
schutzlos; sie haben uns in ihrer Gewalt. Beliebt
es ihnen, Spässe zu machen, so müssen dieselben
uns geistreich sein. Haben sie Zahnschmerz, so
müssen wir es entgelten. Ach, das ist ein böses
Gehetze und Geplage; für unbemittelte Bursche
schon gar ein Elend!

Während ich an der Anstalt gewesen, haben
sich drei Schüler um's Leben gebracht. -- Auch
gut, hat der Leiter der Schule gesagt, was sich
nicht biegt, das muß brechen. Und das ist die
Grabrede gewesen.

Da ist es am ersten Tage nach einem solchen
Selbstmord, daß ich daran komme, in der lateini-
schen Sprache über das Wesen der römischen Welt-
unterjocher vor meinen Lehrern und Lerngenossen
eine Rede zu halten. Ich komme geradewegs von
der Bahre meines unglücklichen Kameraden und
hocherregten Gemüthes besteige ich den Redestuhl.
"Ich will vergleichen zwischen den Römern und
den Deutschen," rufe ich, "die alten Tyrannen
haben den Körper geknechtet, die neuen knechten
den Geist. Da draußen in der finsteren Kammer,

Lehrſätze, vor Jahrhunderten von verkehrten Köpfen
erfunden, müſſen wir auswendig lernen; … ja,
wenn ich all das Erbärmliche wollte beſchreiben! —
Und wer das dürre Zeug nicht mag und kann,
der wird von den Lehrern mißhandelt. Wir ſind
ſchutzlos; ſie haben uns in ihrer Gewalt. Beliebt
es ihnen, Späſſe zu machen, ſo müſſen dieſelben
uns geiſtreich ſein. Haben ſie Zahnſchmerz, ſo
müſſen wir es entgelten. Ach, das iſt ein böſes
Gehetze und Geplage; für unbemittelte Burſche
ſchon gar ein Elend!

Während ich an der Anſtalt geweſen, haben
ſich drei Schüler um’s Leben gebracht. — Auch
gut, hat der Leiter der Schule geſagt, was ſich
nicht biegt, das muß brechen. Und das iſt die
Grabrede geweſen.

Da iſt es am erſten Tage nach einem ſolchen
Selbſtmord, daß ich daran komme, in der lateini-
ſchen Sprache über das Weſen der römiſchen Welt-
unterjocher vor meinen Lehrern und Lerngenoſſen
eine Rede zu halten. Ich komme geradewegs von
der Bahre meines unglücklichen Kameraden und
hocherregten Gemüthes beſteige ich den Redeſtuhl.
„Ich will vergleichen zwiſchen den Römern und
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[43/0053] Lehrſätze, vor Jahrhunderten von verkehrten Köpfen erfunden, müſſen wir auswendig lernen; … ja, wenn ich all das Erbärmliche wollte beſchreiben! — Und wer das dürre Zeug nicht mag und kann, der wird von den Lehrern mißhandelt. Wir ſind ſchutzlos; ſie haben uns in ihrer Gewalt. Beliebt es ihnen, Späſſe zu machen, ſo müſſen dieſelben uns geiſtreich ſein. Haben ſie Zahnſchmerz, ſo müſſen wir es entgelten. Ach, das iſt ein böſes Gehetze und Geplage; für unbemittelte Burſche ſchon gar ein Elend! Während ich an der Anſtalt geweſen, haben ſich drei Schüler um’s Leben gebracht. — Auch gut, hat der Leiter der Schule geſagt, was ſich nicht biegt, das muß brechen. Und das iſt die Grabrede geweſen. Da iſt es am erſten Tage nach einem ſolchen Selbſtmord, daß ich daran komme, in der lateini- ſchen Sprache über das Weſen der römiſchen Welt- unterjocher vor meinen Lehrern und Lerngenoſſen eine Rede zu halten. Ich komme geradewegs von der Bahre meines unglücklichen Kameraden und hocherregten Gemüthes beſteige ich den Redeſtuhl. „Ich will vergleichen zwiſchen den Römern und den Deutſchen,“ rufe ich, „die alten Tyrannen haben den Körper geknechtet, die neuen knechten den Geiſt. Da draußen in der finſteren Kammer,

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/53>, abgerufen am 23.11.2024.