Dem alten Rüppel werde ich im neuen Armen- hause das freundlichste Kämmerlein weisen. Der arme Mann ist schier ganz verlassen. Seine Sprüche lohnen die Leute kaum mehr mit einem Stück Brot. Sie haben vergessen, wie sie vormaleinst zu festlichen Stunden so oft von den heiterfrommen Liedern erbaut worden sind, wie sie gelacht und geschluchzt haben dabei, und wie sie so oft zu ein- ander gesagt haben: "'s ist, wie wenn der heilige Geist aus ihm thät reden."
Freilich wol ist bei dem Alten heute nicht mehr viel zu holen und er wird schon recht kindisch und närrisch. Jetzund hat er sich aus Baumästen einen Reifen gebogen und in demselben eitel Strohhalme wie Saiten aufgezogen. Das ist seine Harfe, er lehnt sie an seine Brust, legt die Finger auf die Halme und murmelt seine Gesänge.
Es ist ein wunderlicher Geselle, wenn er so dasitzt auf einem Stein im Waldesdunkel, gehüllt in seinen fahlfarbigen, weiten Mantel, umwuchert von seinem langen, schneeweißen Bart, von seinen schimmernden Lockensträhnen, die voll und wild über die Achsel wallen. Sein starres, thautrübes Auge richtet er zu den Wipfeln empor, und singt den Vöglein, von denen er es gelernt.
Die Thiere des Waldes fürchten sich nicht vor ihm; zuweilen hüpft ein Eichhörnchen nieder vom
Dem alten Rüppel werde ich im neuen Armen- hauſe das freundlichſte Kämmerlein weiſen. Der arme Mann iſt ſchier ganz verlaſſen. Seine Sprüche lohnen die Leute kaum mehr mit einem Stück Brot. Sie haben vergeſſen, wie ſie vormaleinſt zu feſtlichen Stunden ſo oft von den heiterfrommen Liedern erbaut worden ſind, wie ſie gelacht und geſchluchzt haben dabei, und wie ſie ſo oft zu ein- ander geſagt haben: „’s iſt, wie wenn der heilige Geiſt aus ihm thät reden.“
Freilich wol iſt bei dem Alten heute nicht mehr viel zu holen und er wird ſchon recht kindiſch und närriſch. Jetzund hat er ſich aus Baumäſten einen Reifen gebogen und in demſelben eitel Strohhalme wie Saiten aufgezogen. Das iſt ſeine Harfe, er lehnt ſie an ſeine Bruſt, legt die Finger auf die Halme und murmelt ſeine Geſänge.
Es iſt ein wunderlicher Geſelle, wenn er ſo daſitzt auf einem Stein im Waldesdunkel, gehüllt in ſeinen fahlfarbigen, weiten Mantel, umwuchert von ſeinem langen, ſchneeweißen Bart, von ſeinen ſchimmernden Lockenſträhnen, die voll und wild über die Achſel wallen. Sein ſtarres, thautrübes Auge richtet er zu den Wipfeln empor, und ſingt den Vöglein, von denen er es gelernt.
Die Thiere des Waldes fürchten ſich nicht vor ihm; zuweilen hüpft ein Eichhörnchen nieder vom
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Dem alten Rüppel werde ich im neuen Armen-
hauſe das freundlichſte Kämmerlein weiſen. Der
arme Mann iſt ſchier ganz verlaſſen. Seine Sprüche
lohnen die Leute kaum mehr mit einem Stück
Brot. Sie haben vergeſſen, wie ſie vormaleinſt zu
feſtlichen Stunden ſo oft von den heiterfrommen
Liedern erbaut worden ſind, wie ſie gelacht und
geſchluchzt haben dabei, und wie ſie ſo oft zu ein-
ander geſagt haben: „’s iſt, wie wenn der heilige
Geiſt aus ihm thät reden.“
Freilich wol iſt bei dem Alten heute nicht mehr
viel zu holen und er wird ſchon recht kindiſch und
närriſch. Jetzund hat er ſich aus Baumäſten einen
Reifen gebogen und in demſelben eitel Strohhalme
wie Saiten aufgezogen. Das iſt ſeine Harfe, er
lehnt ſie an ſeine Bruſt, legt die Finger auf die
Halme und murmelt ſeine Geſänge.
Es iſt ein wunderlicher Geſelle, wenn er ſo
daſitzt auf einem Stein im Waldesdunkel, gehüllt
in ſeinen fahlfarbigen, weiten Mantel, umwuchert
von ſeinem langen, ſchneeweißen Bart, von ſeinen
ſchimmernden Lockenſträhnen, die voll und wild über
die Achſel wallen. Sein ſtarres, thautrübes Auge
richtet er zu den Wipfeln empor, und ſingt den
Vöglein, von denen er es gelernt.
Die Thiere des Waldes fürchten ſich nicht vor
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/358>, abgerufen am 22.11.2024.
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