Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

geschritten. Auch die Träger haben sehr behutsam
gehen müssen, denn der Boden mit dem Spätherbst-
reif ist jetzt gar schlüpferig.

Vor Jahren soll es gewesen sein. Da haben
sie von den Almen einen Hirten herabgetragen, um
ihn draußen auf dem Holdenschlager Kirchhof zur
Ruhe zu bringen. Wie sie sich da oben an den
schmalen Steigen der Miesenbachwände heraus-
winden, strauchelt einer der Träger, und der Sarg
rollt über den Hang und stürzt in den Abgrund,
so daß nicht Ein Splitterchen davon mehr gesehen
worden ist.

Der Todtengräber zu Holdenschlag aber hat
bezahlt werden müssen.

Wir Winkelsteger haben keinen Todtengräber.
Wir können ihn nicht ernähren. Wenn doch einmal
Einer stirbt, so thut er's nicht eher, als bis sein
letzter Groschen verthan ist. So müssen eben ein
par Holzerburschen her und die Grube ausschaufeln.
Sie verlangen nichts dafür, sie sind froh, wenn sie
aus der Grube frisch und gesund wieder hervor-
kriechen mögen.

Während der Todtenmesse ist der Sarg ganz
allein vor der Kirche auf der harten Erde gestanden.
Da kommt ein Vöglein geflogen, hüpft auf den Sarg-
deckel und pickt und pickt, und flattert wieder
davon.


geſchritten. Auch die Träger haben ſehr behutſam
gehen müſſen, denn der Boden mit dem Spätherbſt-
reif iſt jetzt gar ſchlüpferig.

Vor Jahren ſoll es geweſen ſein. Da haben
ſie von den Almen einen Hirten herabgetragen, um
ihn draußen auf dem Holdenſchlager Kirchhof zur
Ruhe zu bringen. Wie ſie ſich da oben an den
ſchmalen Steigen der Mieſenbachwände heraus-
winden, ſtrauchelt einer der Träger, und der Sarg
rollt über den Hang und ſtürzt in den Abgrund,
ſo daß nicht Ein Splitterchen davon mehr geſehen
worden iſt.

Der Todtengräber zu Holdenſchlag aber hat
bezahlt werden müſſen.

Wir Winkelſteger haben keinen Todtengräber.
Wir können ihn nicht ernähren. Wenn doch einmal
Einer ſtirbt, ſo thut er’s nicht eher, als bis ſein
letzter Groſchen verthan iſt. So müſſen eben ein
par Holzerburſchen her und die Grube ausſchaufeln.
Sie verlangen nichts dafür, ſie ſind froh, wenn ſie
aus der Grube friſch und geſund wieder hervor-
kriechen mögen.

Während der Todtenmeſſe iſt der Sarg ganz
allein vor der Kirche auf der harten Erde geſtanden.
Da kommt ein Vöglein geflogen, hüpft auf den Sarg-
deckel und pickt und pickt, und flattert wieder
davon.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0322" n="312"/>
ge&#x017F;chritten. Auch die Träger haben &#x017F;ehr behut&#x017F;am<lb/>
gehen mü&#x017F;&#x017F;en, denn der Boden mit dem Spätherb&#x017F;t-<lb/>
reif i&#x017F;t jetzt gar &#x017F;chlüpferig.</p><lb/>
          <p>Vor Jahren &#x017F;oll es gewe&#x017F;en &#x017F;ein. Da haben<lb/>
&#x017F;ie von den Almen einen Hirten herabgetragen, um<lb/>
ihn draußen auf dem Holden&#x017F;chlager Kirchhof zur<lb/>
Ruhe zu bringen. Wie &#x017F;ie &#x017F;ich da oben an den<lb/>
&#x017F;chmalen Steigen der Mie&#x017F;enbachwände heraus-<lb/>
winden, &#x017F;trauchelt einer der Träger, und der Sarg<lb/>
rollt über den Hang und &#x017F;türzt in den Abgrund,<lb/>
&#x017F;o daß nicht Ein Splitterchen davon mehr ge&#x017F;ehen<lb/>
worden i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Der Todtengräber zu Holden&#x017F;chlag aber hat<lb/>
bezahlt werden mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Wir Winkel&#x017F;teger haben keinen Todtengräber.<lb/>
Wir können ihn nicht ernähren. Wenn doch einmal<lb/>
Einer &#x017F;tirbt, &#x017F;o thut er&#x2019;s nicht eher, als bis &#x017F;ein<lb/>
letzter Gro&#x017F;chen verthan i&#x017F;t. So mü&#x017F;&#x017F;en eben ein<lb/>
par Holzerbur&#x017F;chen her und die Grube aus&#x017F;chaufeln.<lb/>
Sie verlangen nichts dafür, &#x017F;ie &#x017F;ind froh, wenn &#x017F;ie<lb/>
aus der Grube fri&#x017F;ch und ge&#x017F;und wieder hervor-<lb/>
kriechen mögen.</p><lb/>
          <p>Während der Todtenme&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t der Sarg ganz<lb/>
allein vor der Kirche auf der harten Erde ge&#x017F;tanden.<lb/>
Da kommt ein Vöglein geflogen, hüpft auf den Sarg-<lb/>
deckel und pickt und pickt, und flattert wieder<lb/>
davon.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0322] geſchritten. Auch die Träger haben ſehr behutſam gehen müſſen, denn der Boden mit dem Spätherbſt- reif iſt jetzt gar ſchlüpferig. Vor Jahren ſoll es geweſen ſein. Da haben ſie von den Almen einen Hirten herabgetragen, um ihn draußen auf dem Holdenſchlager Kirchhof zur Ruhe zu bringen. Wie ſie ſich da oben an den ſchmalen Steigen der Mieſenbachwände heraus- winden, ſtrauchelt einer der Träger, und der Sarg rollt über den Hang und ſtürzt in den Abgrund, ſo daß nicht Ein Splitterchen davon mehr geſehen worden iſt. Der Todtengräber zu Holdenſchlag aber hat bezahlt werden müſſen. Wir Winkelſteger haben keinen Todtengräber. Wir können ihn nicht ernähren. Wenn doch einmal Einer ſtirbt, ſo thut er’s nicht eher, als bis ſein letzter Groſchen verthan iſt. So müſſen eben ein par Holzerburſchen her und die Grube ausſchaufeln. Sie verlangen nichts dafür, ſie ſind froh, wenn ſie aus der Grube friſch und geſund wieder hervor- kriechen mögen. Während der Todtenmeſſe iſt der Sarg ganz allein vor der Kirche auf der harten Erde geſtanden. Da kommt ein Vöglein geflogen, hüpft auf den Sarg- deckel und pickt und pickt, und flattert wieder davon.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/322
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/322>, abgerufen am 22.11.2024.