habe ich mich eingerichtet. Im Felsenthale ist ein hölzernes Kreuz gestanden, das seiner Tage auch ein verlorner Waldmensch aufgerichtet haben mag. Das ist mein Versöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne Heiland, wie ich es sonst den bedrängten Seelen vorgehalten, war mir nun selber geworden.
Und so, junger Freund, habe ich nun gelebt in der Einsamkeit, habe mit den Wurznern und Pechern gearbeitet. Und so ist Jahr um Jahr ver- flossen. Von Entbehrung will ich nicht reden, schwerer ist mir das Gefühl des Verlassenseins geworden, und die Sehnsucht nach den Menschen hat mich oft unsäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent- sagung meine Sühne ist, hat mich getröstet. Oft aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo Menschen wohnen in lieber Geselligkeit. Ich habe mich gelabt mit dem Bewußtsein ihrer Gewissens- ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt in das ewig einsame Felsenthal zu meiner Höhle und zu dem stillen Kreuze auf dem Steingrunde.
Der Kampf in mir aber ist, statt geringer, größer und schwerer geworden, und zuweilen kommt mir der Gedanke: was ist das für ein Leben in lahmer Thatlosigkeit, in der man Niemandem nützt, sich selber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille sein?
Zurückkehren in den Orden, das wäre un- möglich. In der offenen Welt leben unter dem
habe ich mich eingerichtet. Im Felſenthale iſt ein hölzernes Kreuz geſtanden, das ſeiner Tage auch ein verlorner Waldmenſch aufgerichtet haben mag. Das iſt mein Verſöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne Heiland, wie ich es ſonſt den bedrängten Seelen vorgehalten, war mir nun ſelber geworden.
Und ſo, junger Freund, habe ich nun gelebt in der Einſamkeit, habe mit den Wurznern und Pechern gearbeitet. Und ſo iſt Jahr um Jahr ver- floſſen. Von Entbehrung will ich nicht reden, ſchwerer iſt mir das Gefühl des Verlaſſenſeins geworden, und die Sehnſucht nach den Menſchen hat mich oft unſäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent- ſagung meine Sühne iſt, hat mich getröſtet. Oft aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo Menſchen wohnen in lieber Geſelligkeit. Ich habe mich gelabt mit dem Bewußtſein ihrer Gewiſſens- ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt in das ewig einſame Felſenthal zu meiner Höhle und zu dem ſtillen Kreuze auf dem Steingrunde.
Der Kampf in mir aber iſt, ſtatt geringer, größer und ſchwerer geworden, und zuweilen kommt mir der Gedanke: was iſt das für ein Leben in lahmer Thatloſigkeit, in der man Niemandem nützt, ſich ſelber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille ſein?
Zurückkehren in den Orden, das wäre un- möglich. In der offenen Welt leben unter dem
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habe ich mich eingerichtet. Im Felſenthale iſt ein
hölzernes Kreuz geſtanden, das ſeiner Tage auch
ein verlorner Waldmenſch aufgerichtet haben mag.
Das iſt mein Verſöhnungsaltar. Ein Kreuz ohne
Heiland, wie ich es ſonſt den bedrängten Seelen
vorgehalten, war mir nun ſelber geworden.
Und ſo, junger Freund, habe ich nun gelebt
in der Einſamkeit, habe mit den Wurznern und
Pechern gearbeitet. Und ſo iſt Jahr um Jahr ver-
floſſen. Von Entbehrung will ich nicht reden, ſchwerer
iſt mir das Gefühl des Verlaſſenſeins geworden,
und die Sehnſucht nach den Menſchen hat mich oft
unſäglich gepeinigt. Nur der Gedanke, daß Ent-
ſagung meine Sühne iſt, hat mich getröſtet. Oft
aber bin ich hinaus in die Thäler gegangen, wo
Menſchen wohnen in lieber Geſelligkeit. Ich habe
mich gelabt mit dem Bewußtſein ihrer Gewiſſens-
ruhe und Zufriedenheit und bin wieder zurückgekehrt
in das ewig einſame Felſenthal zu meiner Höhle
und zu dem ſtillen Kreuze auf dem Steingrunde.
Der Kampf in mir aber iſt, ſtatt geringer,
größer und ſchwerer geworden, und zuweilen kommt
mir der Gedanke: was iſt das für ein Leben in
lahmer Thatloſigkeit, in der man Niemandem nützt,
ſich ſelber doch verzehrt? Kann das Gottes Wille ſein?
Zurückkehren in den Orden, das wäre un-
möglich. In der offenen Welt leben unter dem
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/303>, abgerufen am 24.11.2024.
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