Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Bilde der Königin der Beichtiger, da ist es mir,
als trete sie plötzlich hervor aus der Nische -- sie,
mit dem Kinde, in blutrothem Schein.

Der Thür eile ich zu, auf daß ich den er-
quickenden Abend im Freien erlange. Siehe, da ist
der Ausgang verschlossen.

Ich habe die Sperrstunde nicht wahrgenommen.
Die Kirche ist entlegen vom Orte; das nächste
Haus ist die Todtenkammer. Da hört es Keiner,
wie man auch rufen wolle.

So bin ich eingeschlossen in den düsteren
Raum, in welchem ich so oft von dem leidigen
Teufel gesprochen und von der ewigen Höllenpein.
-- Dort im heiligen Gezelt thront der ewige Gott
in Wesenheit und Wahrheit; jetzo bist du mit ihm
allein, jetzo wirst du Rechenschaft ablegen, wie du
als sein Stellvertreter unter den Menschen die hohe
Lehre hast verkündet.

Nein, ich habe es nicht vermocht, hinzublicken
auf den Altar; das schreckliche Bild steht dort, wie
in der Luft, das rothe Licht schwebt auf mich zu.
Ich eile auf den Zehenspitzen von einem Winkel
zum andern, verkrieche mich endlich wieder in den
Beichtstuhl und ziehe den Vorhang zu.

So bin ich dagesessen mit höchst erregten
Sinnen. Ich meine, jetzt und jetzt müsse sich der
Vorhang bewegen und eine kalte Hand hereinfahren

Bilde der Königin der Beichtiger, da iſt es mir,
als trete ſie plötzlich hervor aus der Niſche — ſie,
mit dem Kinde, in blutrothem Schein.

Der Thür eile ich zu, auf daß ich den er-
quickenden Abend im Freien erlange. Siehe, da iſt
der Ausgang verſchloſſen.

Ich habe die Sperrſtunde nicht wahrgenommen.
Die Kirche iſt entlegen vom Orte; das nächſte
Haus iſt die Todtenkammer. Da hört es Keiner,
wie man auch rufen wolle.

So bin ich eingeſchloſſen in den düſteren
Raum, in welchem ich ſo oft von dem leidigen
Teufel geſprochen und von der ewigen Höllenpein.
— Dort im heiligen Gezelt thront der ewige Gott
in Weſenheit und Wahrheit; jetzo biſt du mit ihm
allein, jetzo wirſt du Rechenſchaft ablegen, wie du
als ſein Stellvertreter unter den Menſchen die hohe
Lehre haſt verkündet.

Nein, ich habe es nicht vermocht, hinzublicken
auf den Altar; das ſchreckliche Bild ſteht dort, wie
in der Luft, das rothe Licht ſchwebt auf mich zu.
Ich eile auf den Zehenſpitzen von einem Winkel
zum andern, verkrieche mich endlich wieder in den
Beichtſtuhl und ziehe den Vorhang zu.

So bin ich dageſeſſen mit höchſt erregten
Sinnen. Ich meine, jetzt und jetzt müſſe ſich der
Vorhang bewegen und eine kalte Hand hereinfahren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0294" n="284"/>
Bilde der Königin der Beichtiger, da i&#x017F;t es mir,<lb/>
als trete &#x017F;ie plötzlich hervor aus der Ni&#x017F;che &#x2014; &#x017F;ie,<lb/>
mit dem Kinde, in blutrothem Schein.</p><lb/>
          <p>Der Thür eile ich zu, auf daß ich den er-<lb/>
quickenden Abend im Freien erlange. Siehe, da i&#x017F;t<lb/>
der Ausgang ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Ich habe die Sperr&#x017F;tunde nicht wahrgenommen.<lb/>
Die Kirche i&#x017F;t entlegen vom Orte; das näch&#x017F;te<lb/>
Haus i&#x017F;t die Todtenkammer. Da hört es Keiner,<lb/>
wie man auch rufen wolle.</p><lb/>
          <p>So bin ich einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en in den dü&#x017F;teren<lb/>
Raum, in welchem ich &#x017F;o oft von dem leidigen<lb/>
Teufel ge&#x017F;prochen und von der ewigen Höllenpein.<lb/>
&#x2014; Dort im heiligen Gezelt thront der ewige Gott<lb/>
in We&#x017F;enheit und Wahrheit; jetzo bi&#x017F;t du mit ihm<lb/>
allein, jetzo wir&#x017F;t du Rechen&#x017F;chaft ablegen, wie du<lb/>
als &#x017F;ein Stellvertreter unter den Men&#x017F;chen die hohe<lb/>
Lehre ha&#x017F;t verkündet.</p><lb/>
          <p>Nein, ich habe es nicht vermocht, hinzublicken<lb/>
auf den Altar; das &#x017F;chreckliche Bild &#x017F;teht dort, wie<lb/>
in der Luft, das rothe Licht &#x017F;chwebt auf mich zu.<lb/>
Ich eile auf den Zehen&#x017F;pitzen von einem Winkel<lb/>
zum andern, verkrieche mich endlich wieder in den<lb/>
Beicht&#x017F;tuhl und ziehe den Vorhang zu.</p><lb/>
          <p>So bin ich dage&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en mit höch&#x017F;t erregten<lb/>
Sinnen. Ich meine, jetzt und jetzt mü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich der<lb/>
Vorhang bewegen und eine kalte Hand hereinfahren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0294] Bilde der Königin der Beichtiger, da iſt es mir, als trete ſie plötzlich hervor aus der Niſche — ſie, mit dem Kinde, in blutrothem Schein. Der Thür eile ich zu, auf daß ich den er- quickenden Abend im Freien erlange. Siehe, da iſt der Ausgang verſchloſſen. Ich habe die Sperrſtunde nicht wahrgenommen. Die Kirche iſt entlegen vom Orte; das nächſte Haus iſt die Todtenkammer. Da hört es Keiner, wie man auch rufen wolle. So bin ich eingeſchloſſen in den düſteren Raum, in welchem ich ſo oft von dem leidigen Teufel geſprochen und von der ewigen Höllenpein. — Dort im heiligen Gezelt thront der ewige Gott in Weſenheit und Wahrheit; jetzo biſt du mit ihm allein, jetzo wirſt du Rechenſchaft ablegen, wie du als ſein Stellvertreter unter den Menſchen die hohe Lehre haſt verkündet. Nein, ich habe es nicht vermocht, hinzublicken auf den Altar; das ſchreckliche Bild ſteht dort, wie in der Luft, das rothe Licht ſchwebt auf mich zu. Ich eile auf den Zehenſpitzen von einem Winkel zum andern, verkrieche mich endlich wieder in den Beichtſtuhl und ziehe den Vorhang zu. So bin ich dageſeſſen mit höchſt erregten Sinnen. Ich meine, jetzt und jetzt müſſe ſich der Vorhang bewegen und eine kalte Hand hereinfahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/294
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/294>, abgerufen am 28.07.2024.