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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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erst verstehe ich die Ermahnung zur Klugheit. --
Mein Gewissen warnt mich; ich horche anfangs
unentschlossen seiner Stimme, dann werde ich kühn
und ersticke es.

Ich hätte den Schritt gethan, und vielleicht
wüßte die Geschichte heute von einer zweiten Bar-
tholomäusnacht zu erzählen; -- da erhalte ich zur
selben Zeit die Nachricht von dem Tode meines
Vaters. Das rüttelt mich auf. Kindesliebe, Schmerz,
Sehnsucht, Heimweh, Schuldbewußtsein und Reue
schneiden in meinem Herzen, graben in meinem
Gehirne. Ich schreibe nach Rom, daß ich in mei-
nem Schmerze unfähig sei zu Allem.

Was ist die Antwort darauf? Dieselbe gebietet
mir: ich möge bei Hofe um meine Entlassung
bitten, denn ich würde mich ehestens einschiffen
nach Ostindien.

Dieser Auftrag schmettert mich vollends nieder.
Anstatt in's Vaterland, wohin mein Herz mich zieht
mit allen seinen Adern, soll ich in einen fernen
Welttheil reisen. Warum? Zu welchen Zwecken?
Wer frägt? Die erste Satzung des Ordens lautet:
blinder Gehorsam!"

Hier hat der Mann seine Erzählung unter-
brochen. Mit den Fingern ist er sich über seine
blassen, hageren Wangen gefahren bis herab zu den
kohlschwarzen Bartstoppeln des Backens. Sein Auge,

18*

erſt verſtehe ich die Ermahnung zur Klugheit. —
Mein Gewiſſen warnt mich; ich horche anfangs
unentſchloſſen ſeiner Stimme, dann werde ich kühn
und erſticke es.

Ich hätte den Schritt gethan, und vielleicht
wüßte die Geſchichte heute von einer zweiten Bar-
tholomäusnacht zu erzählen; — da erhalte ich zur
ſelben Zeit die Nachricht von dem Tode meines
Vaters. Das rüttelt mich auf. Kindesliebe, Schmerz,
Sehnſucht, Heimweh, Schuldbewußtſein und Reue
ſchneiden in meinem Herzen, graben in meinem
Gehirne. Ich ſchreibe nach Rom, daß ich in mei-
nem Schmerze unfähig ſei zu Allem.

Was iſt die Antwort darauf? Dieſelbe gebietet
mir: ich möge bei Hofe um meine Entlaſſung
bitten, denn ich würde mich eheſtens einſchiffen
nach Oſtindien.

Dieſer Auftrag ſchmettert mich vollends nieder.
Anſtatt in’s Vaterland, wohin mein Herz mich zieht
mit allen ſeinen Adern, ſoll ich in einen fernen
Welttheil reiſen. Warum? Zu welchen Zwecken?
Wer frägt? Die erſte Satzung des Ordens lautet:
blinder Gehorſam!“

Hier hat der Mann ſeine Erzählung unter-
brochen. Mit den Fingern iſt er ſich über ſeine
blaſſen, hageren Wangen gefahren bis herab zu den
kohlſchwarzen Bartſtoppeln des Backens. Sein Auge,

18*
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[275/0285] erſt verſtehe ich die Ermahnung zur Klugheit. — Mein Gewiſſen warnt mich; ich horche anfangs unentſchloſſen ſeiner Stimme, dann werde ich kühn und erſticke es. Ich hätte den Schritt gethan, und vielleicht wüßte die Geſchichte heute von einer zweiten Bar- tholomäusnacht zu erzählen; — da erhalte ich zur ſelben Zeit die Nachricht von dem Tode meines Vaters. Das rüttelt mich auf. Kindesliebe, Schmerz, Sehnſucht, Heimweh, Schuldbewußtſein und Reue ſchneiden in meinem Herzen, graben in meinem Gehirne. Ich ſchreibe nach Rom, daß ich in mei- nem Schmerze unfähig ſei zu Allem. Was iſt die Antwort darauf? Dieſelbe gebietet mir: ich möge bei Hofe um meine Entlaſſung bitten, denn ich würde mich eheſtens einſchiffen nach Oſtindien. Dieſer Auftrag ſchmettert mich vollends nieder. Anſtatt in’s Vaterland, wohin mein Herz mich zieht mit allen ſeinen Adern, ſoll ich in einen fernen Welttheil reiſen. Warum? Zu welchen Zwecken? Wer frägt? Die erſte Satzung des Ordens lautet: blinder Gehorſam!“ Hier hat der Mann ſeine Erzählung unter- brochen. Mit den Fingern iſt er ſich über ſeine blaſſen, hageren Wangen gefahren bis herab zu den kohlſchwarzen Bartſtoppeln des Backens. Sein Auge, 18*

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/285>, abgerufen am 24.11.2024.