wenn man reich ist. Ich lasse mir sie sehr gut sein; ich will ihren süßesten Becher leeren, ehe ich am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes trinken soll.
Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden- becher geleert, bis zum Bodensatz. Da eckelt mich, da bin ich satt und übersatt. Und die Welt lang- weilt mich.
Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge- sprochen, und auf seinen Rath habe ich mich ent- schlossen, dem Dienste Gottes und dem Heile der Menschen zu leben. Ich trete in den Orden der "Glaubensväter," und gerne thue ich nun das Ge- lübde der Geduld und der Keuschheit und der Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden zu, und ich leiste das Gelöbniß des unbedingten Gehorsams.
Und nun -- -- da ist eines Tages ein Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge- sehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich, daß ich es mit dem Kinde nicht verlassen möge; es bittet um Gottes Willen. Allein -- ich bin bettelarm, darf mich auch für sie an niemand Andern wenden, ich habe ausschließlich nur meinem Orden zu leben -- so gebietet es der blinde Ge- horsam.
wenn man reich iſt. Ich laſſe mir ſie ſehr gut ſein; ich will ihren ſüßeſten Becher leeren, ehe ich am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes trinken ſoll.
Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden- becher geleert, bis zum Bodenſatz. Da eckelt mich, da bin ich ſatt und überſatt. Und die Welt lang- weilt mich.
Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge- ſprochen, und auf ſeinen Rath habe ich mich ent- ſchloſſen, dem Dienſte Gottes und dem Heile der Menſchen zu leben. Ich trete in den Orden der „Glaubensväter,“ und gerne thue ich nun das Ge- lübde der Geduld und der Keuſchheit und der Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden zu, und ich leiſte das Gelöbniß des unbedingten Gehorſams.
Und nun — — da iſt eines Tages ein Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge- ſehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich, daß ich es mit dem Kinde nicht verlaſſen möge; es bittet um Gottes Willen. Allein — ich bin bettelarm, darf mich auch für ſie an niemand Andern wenden, ich habe ausſchließlich nur meinem Orden zu leben — ſo gebietet es der blinde Ge- horſam.
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wenn man reich iſt. Ich laſſe mir ſie ſehr gut
ſein; ich will ihren ſüßeſten Becher leeren, ehe ich
am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes
trinken ſoll.
Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden-
becher geleert, bis zum Bodenſatz. Da eckelt mich,
da bin ich ſatt und überſatt. Und die Welt lang-
weilt mich.
Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig
geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge-
ſprochen, und auf ſeinen Rath habe ich mich ent-
ſchloſſen, dem Dienſte Gottes und dem Heile der
Menſchen zu leben. Ich trete in den Orden der
„Glaubensväter,“ und gerne thue ich nun das Ge-
lübde der Geduld und der Keuſchheit und der
Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden
zu, und ich leiſte das Gelöbniß des unbedingten
Gehorſams.
Und nun — — da iſt eines Tages ein
Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge-
ſehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich,
daß ich es mit dem Kinde nicht verlaſſen möge;
es bittet um Gottes Willen. Allein — ich bin
bettelarm, darf mich auch für ſie an niemand
Andern wenden, ich habe ausſchließlich nur meinem
Orden zu leben — ſo gebietet es der blinde Ge-
horſam.
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/280>, abgerufen am 24.11.2024.
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