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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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daß die mittlere geknickt ist. Sie ist von den dreien
die mächtigste und wol die älteste gewesen.

Auf dem hingestreckten Stamm, der sein wild-
knorriges Geäste tief in den Erdboden gebohrt hat,
sitzt der Einspanig.

Er hat sich ein Wollentuch um die Schultern
gelegt, und über das Tuch wallen die Strähne des
schwarzen Haares mit seinen vielen grauen Fäden.
Die Beine hält der Mann über einandergeschlagen,
darauf stützt er seinen Ellbogen, und auf diesen das
gesenkte Haupt mit dem blassen Antlitz.

Da ich nahe, erhebt er sich.

"Ihr kommet doch," sagt er, "und ich hätte
beinahe nicht kommen können. Die Sturmnacht
hat meine Behausung gesperrt; sie hat einen Fels-
klotz vor den Ausgang gewälzt." Und nach einem
schweren Athemzug, der wieder an das Tosen eines
Sturmes gemahnt, sagt er das trübselige Wort:
"Vielleicht wäre es besser gewesen, diese Nacht
hätte mich in der Felsenhöhle begraben für alle
Zeit, als daß ich euch heute die Antwort gebe. Da
ich sie aber gebe, so gebe ich sie euch am liebsten.
Ich habe Rechtschaffenes von euch gehört, und freue
mich der Gelegenheit, euch näher zu kommen. Meine
Antwort, junger Mann, ist eine schwere Last;
helfet mir sie tragen, wie ihr ja auch die Mühsal
der anderen Waldbewohner auf euch geladen habt.

daß die mittlere geknickt iſt. Sie iſt von den dreien
die mächtigſte und wol die älteſte geweſen.

Auf dem hingeſtreckten Stamm, der ſein wild-
knorriges Geäſte tief in den Erdboden gebohrt hat,
ſitzt der Einſpanig.

Er hat ſich ein Wollentuch um die Schultern
gelegt, und über das Tuch wallen die Strähne des
ſchwarzen Haares mit ſeinen vielen grauen Fäden.
Die Beine hält der Mann über einandergeſchlagen,
darauf ſtützt er ſeinen Ellbogen, und auf dieſen das
geſenkte Haupt mit dem blaſſen Antlitz.

Da ich nahe, erhebt er ſich.

„Ihr kommet doch,“ ſagt er, „und ich hätte
beinahe nicht kommen können. Die Sturmnacht
hat meine Behauſung geſperrt; ſie hat einen Fels-
klotz vor den Ausgang gewälzt.“ Und nach einem
ſchweren Athemzug, der wieder an das Toſen eines
Sturmes gemahnt, ſagt er das trübſelige Wort:
„Vielleicht wäre es beſſer geweſen, dieſe Nacht
hätte mich in der Felſenhöhle begraben für alle
Zeit, als daß ich euch heute die Antwort gebe. Da
ich ſie aber gebe, ſo gebe ich ſie euch am liebſten.
Ich habe Rechtſchaffenes von euch gehört, und freue
mich der Gelegenheit, euch näher zu kommen. Meine
Antwort, junger Mann, iſt eine ſchwere Laſt;
helfet mir ſie tragen, wie ihr ja auch die Mühſal
der anderen Waldbewohner auf euch geladen habt.

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[264/0274] daß die mittlere geknickt iſt. Sie iſt von den dreien die mächtigſte und wol die älteſte geweſen. Auf dem hingeſtreckten Stamm, der ſein wild- knorriges Geäſte tief in den Erdboden gebohrt hat, ſitzt der Einſpanig. Er hat ſich ein Wollentuch um die Schultern gelegt, und über das Tuch wallen die Strähne des ſchwarzen Haares mit ſeinen vielen grauen Fäden. Die Beine hält der Mann über einandergeſchlagen, darauf ſtützt er ſeinen Ellbogen, und auf dieſen das geſenkte Haupt mit dem blaſſen Antlitz. Da ich nahe, erhebt er ſich. „Ihr kommet doch,“ ſagt er, „und ich hätte beinahe nicht kommen können. Die Sturmnacht hat meine Behauſung geſperrt; ſie hat einen Fels- klotz vor den Ausgang gewälzt.“ Und nach einem ſchweren Athemzug, der wieder an das Toſen eines Sturmes gemahnt, ſagt er das trübſelige Wort: „Vielleicht wäre es beſſer geweſen, dieſe Nacht hätte mich in der Felſenhöhle begraben für alle Zeit, als daß ich euch heute die Antwort gebe. Da ich ſie aber gebe, ſo gebe ich ſie euch am liebſten. Ich habe Rechtſchaffenes von euch gehört, und freue mich der Gelegenheit, euch näher zu kommen. Meine Antwort, junger Mann, iſt eine ſchwere Laſt; helfet mir ſie tragen, wie ihr ja auch die Mühſal der anderen Waldbewohner auf euch geladen habt.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/274>, abgerufen am 28.07.2024.