hinein durch die Papierscheibe: "Adelheid, wacht ein wenig auf!"
Da ist drinnen ein kleines Geräusch und ein verzagtes Fragen, wer denn draußen.
"Der Andreas Erdmann von Winkelsteg ist da und noch zwei Andere," sage ich. "Erschreckt aber nicht. In der neuen Kirche hat sich ein Wun- der zugetragen. Der Herr hat den Lazarus erweckt!"
In der Hütte leckt mehrmals ein rother Schein an den Wänden, wie matte Blitze zu sehen. Das Weib hat an der Herdglut einen Span angeblasen.
Sie leuchtet uns zur Thüre hinein, aber als sie den Knaben sieht, fällt der Span zu Boden und verlischt.
Da ich endlich wieder ein Licht zu wege bringe, lehnt das Weib an dem Thürpfosten und Lazarus liegt auf dem Angesichte. Er wimmert. Der Graßsteiger hebt ihn empor und thut ihm die Locken aus dem Antlitz. Die Adelheid steht fast regungslos in ihrem ärmlichen Nachtkleide; nur in ihrer Brust ist eine mächtige Unruhe. Sie legt die beiden Hände über die Brust, sie wendet sich gegen die Wand und lechtzt nach Athem, ich habe gemeint, sie bricht uns zusammen. Letztlich wendet sie sich zum Knaben und sagt: "Bist wol einmal da, Lazarus?" -- Und zu uns: "Thut euch ab dort auf der Bank, will gleich eine Suppe kochen!" --
hinein durch die Papierſcheibe: „Adelheid, wacht ein wenig auf!“
Da iſt drinnen ein kleines Geräuſch und ein verzagtes Fragen, wer denn draußen.
„Der Andreas Erdmann von Winkelſteg iſt da und noch zwei Andere,“ ſage ich. „Erſchreckt aber nicht. In der neuen Kirche hat ſich ein Wun- der zugetragen. Der Herr hat den Lazarus erweckt!“
In der Hütte leckt mehrmals ein rother Schein an den Wänden, wie matte Blitze zu ſehen. Das Weib hat an der Herdglut einen Span angeblaſen.
Sie leuchtet uns zur Thüre hinein, aber als ſie den Knaben ſieht, fällt der Span zu Boden und verliſcht.
Da ich endlich wieder ein Licht zu wege bringe, lehnt das Weib an dem Thürpfoſten und Lazarus liegt auf dem Angeſichte. Er wimmert. Der Graßſteiger hebt ihn empor und thut ihm die Locken aus dem Antlitz. Die Adelheid ſteht faſt regungslos in ihrem ärmlichen Nachtkleide; nur in ihrer Bruſt iſt eine mächtige Unruhe. Sie legt die beiden Hände über die Bruſt, ſie wendet ſich gegen die Wand und lechtzt nach Athem, ich habe gemeint, ſie bricht uns zuſammen. Letztlich wendet ſie ſich zum Knaben und ſagt: „Biſt wol einmal da, Lazarus?“ — Und zu uns: „Thut euch ab dort auf der Bank, will gleich eine Suppe kochen!“ —
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hinein durch die Papierſcheibe: „Adelheid, wacht
ein wenig auf!“
Da iſt drinnen ein kleines Geräuſch und ein
verzagtes Fragen, wer denn draußen.
„Der Andreas Erdmann von Winkelſteg iſt
da und noch zwei Andere,“ ſage ich. „Erſchreckt
aber nicht. In der neuen Kirche hat ſich ein Wun-
der zugetragen. Der Herr hat den Lazarus erweckt!“
In der Hütte leckt mehrmals ein rother Schein
an den Wänden, wie matte Blitze zu ſehen. Das
Weib hat an der Herdglut einen Span angeblaſen.
Sie leuchtet uns zur Thüre hinein, aber als
ſie den Knaben ſieht, fällt der Span zu Boden
und verliſcht.
Da ich endlich wieder ein Licht zu wege
bringe, lehnt das Weib an dem Thürpfoſten und
Lazarus liegt auf dem Angeſichte. Er wimmert.
Der Graßſteiger hebt ihn empor und thut ihm die
Locken aus dem Antlitz. Die Adelheid ſteht faſt
regungslos in ihrem ärmlichen Nachtkleide; nur in
ihrer Bruſt iſt eine mächtige Unruhe. Sie legt die
beiden Hände über die Bruſt, ſie wendet ſich gegen
die Wand und lechtzt nach Athem, ich habe gemeint,
ſie bricht uns zuſammen. Letztlich wendet ſie ſich
zum Knaben und ſagt: „Biſt wol einmal da,
Lazarus?“ — Und zu uns: „Thut euch ab dort
auf der Bank, will gleich eine Suppe kochen!“ —
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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