schlagst mir's ab, wenn ich ein Edelweiß verlang' von der hohen Wand herab?"
"Mein Leben, ein Edelweiß sollst du haben?" jauchzt der Bursch, denkt aber nicht daran, daß sie die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil sie unbesteigbar ist, weil an ihrem Fuß sechs Marter- tafeln stehen, von Wurznern und Gemsjägern zei- gend, die herabgestürzt. Und die Sennin bedenkt es nicht, daß sie die siebente Martertafel begehrt.
Aber dasselb' ist wol wahr, daß Einem die Lieb' toll den Kopf verrückt. Der Forstjunge hat sich aufgemacht noch an demselbigen Tag.
Er besteigt das niedrigere Gewände, über wel- ches der Holzhauer mit seiner Kraxe noch wandeln muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner seinen Speik aussticht; er schwingt sich über Schluch- ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger traut. Und er erreicht endlich jene schaudervollen Stellen an der Teufelsburg, die unter sich den zer- rissenen Abgrund, über sich das senkrecht aufsteigende Gethürme haben.
Auf einem nächsten Felsvorsprung ist ein Gemslein gestanden, das hat lustig sein Haupt erhoben und spottend auf den Burschen herüber- geschaut. Es ist nicht geflohen, da oben ist das Wild der Jäger und der Mensch das hilflose Wild. Das Gemslein scharrt mit dem Forder-
ſchlagſt mir’s ab, wenn ich ein Edelweiß verlang’ von der hohen Wand herab?“
„Mein Leben, ein Edelweiß ſollſt du haben?“ jauchzt der Burſch, denkt aber nicht daran, daß ſie die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil ſie unbeſteigbar iſt, weil an ihrem Fuß ſechs Marter- tafeln ſtehen, von Wurznern und Gemsjägern zei- gend, die herabgeſtürzt. Und die Sennin bedenkt es nicht, daß ſie die ſiebente Martertafel begehrt.
Aber dasſelb’ iſt wol wahr, daß Einem die Lieb’ toll den Kopf verrückt. Der Forſtjunge hat ſich aufgemacht noch an demſelbigen Tag.
Er beſteigt das niedrigere Gewände, über wel- ches der Holzhauer mit ſeiner Kraxe noch wandeln muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner ſeinen Speik ausſticht; er ſchwingt ſich über Schluch- ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger traut. Und er erreicht endlich jene ſchaudervollen Stellen an der Teufelsburg, die unter ſich den zer- riſſenen Abgrund, über ſich das ſenkrecht aufſteigende Gethürme haben.
Auf einem nächſten Felsvorſprung iſt ein Gemslein geſtanden, das hat luſtig ſein Haupt erhoben und ſpottend auf den Burſchen herüber- geſchaut. Es iſt nicht geflohen, da oben iſt das Wild der Jäger und der Menſch das hilfloſe Wild. Das Gemslein ſcharrt mit dem Forder-
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ſchlagſt mir’s ab, wenn ich ein Edelweiß verlang’
von der hohen Wand herab?“
„Mein Leben, ein Edelweiß ſollſt du haben?“
jauchzt der Burſch, denkt aber nicht daran, daß ſie
die hohe Wand die Teufelsburg heißen, weil ſie
unbeſteigbar iſt, weil an ihrem Fuß ſechs Marter-
tafeln ſtehen, von Wurznern und Gemsjägern zei-
gend, die herabgeſtürzt. Und die Sennin bedenkt es
nicht, daß ſie die ſiebente Martertafel begehrt.
Aber dasſelb’ iſt wol wahr, daß Einem die
Lieb’ toll den Kopf verrückt. Der Forſtjunge hat
ſich aufgemacht noch an demſelbigen Tag.
Er beſteigt das niedrigere Gewände, über wel-
ches der Holzhauer mit ſeiner Kraxe noch wandeln
muß; er erklettert Hänge, an denen der Wurzner
ſeinen Speik ausſticht; er ſchwingt ſich über Schluch-
ten und Klippen, denen kaum mehr der Gemsjäger
traut. Und er erreicht endlich jene ſchaudervollen
Stellen an der Teufelsburg, die unter ſich den zer-
riſſenen Abgrund, über ſich das ſenkrecht aufſteigende
Gethürme haben.
Auf einem nächſten Felsvorſprung iſt ein
Gemslein geſtanden, das hat luſtig ſein Haupt
erhoben und ſpottend auf den Burſchen herüber-
geſchaut. Es iſt nicht geflohen, da oben iſt das
Wild der Jäger und der Menſch das hilfloſe
Wild. Das Gemslein ſcharrt mit dem Forder-
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/236>, abgerufen am 23.11.2024.
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