diese läuft zu mir in das Winkelhüterhaus, daß ich kommen und sehen möge, was das sei.
Es ist sehr merkwürdig. Eine Nachricht ist es von dem Knaben. Auf dem Papier stehen in frem- den Zügen die Worte:
"Meine Mutter und meine Schwester! Habt keinen Groll und keine Sorge. Ich bin in der Schule des Kreuzes. Lazarus." -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
Die Leute richten ihre Blicke auf mich. Der Knabe kann nicht lesen und schreiben, fast niemand kann es im Walde. Die Leute meinen, ich sei hoch- gelehrt, ich müsse von Allem wissen.
Ich weiß von nichts. Die Schule des Kreuzes, das ist ein geheimnißvolles Wort.
Allerseelen 1817.
Das ist ein lautloses Auf- und Niedergehen der Menschen.
Ein Tröpfchen sammelt sich am hohen Zweig des Baumes, sickert hinaus auf die letzte Nadel, wiegt sich und glitzert und funkelt, oft grau, wie Blei, oft roth, wie Karfunkel. Kaum noch hat es die Farbenpracht des Waldes und des Himmels in sich gespiegelt, so zieht ein Lufthauch, und das Tröpfchen löst sich von dem wiegenden Tannenzweig
dieſe läuft zu mir in das Winkelhüterhaus, daß ich kommen und ſehen möge, was das ſei.
Es iſt ſehr merkwürdig. Eine Nachricht iſt es von dem Knaben. Auf dem Papier ſtehen in frem- den Zügen die Worte:
„Meine Mutter und meine Schweſter! Habt keinen Groll und keine Sorge. Ich bin in der Schule des Kreuzes. Lazarus.“ — — — — — — — — — —
Die Leute richten ihre Blicke auf mich. Der Knabe kann nicht leſen und ſchreiben, faſt niemand kann es im Walde. Die Leute meinen, ich ſei hoch- gelehrt, ich müſſe von Allem wiſſen.
Ich weiß von nichts. Die Schule des Kreuzes, das iſt ein geheimnißvolles Wort.
Allerſeelen 1817.
Das iſt ein lautloſes Auf- und Niedergehen der Menſchen.
Ein Tröpfchen ſammelt ſich am hohen Zweig des Baumes, ſickert hinaus auf die letzte Nadel, wiegt ſich und glitzert und funkelt, oft grau, wie Blei, oft roth, wie Karfunkel. Kaum noch hat es die Farbenpracht des Waldes und des Himmels in ſich geſpiegelt, ſo zieht ein Lufthauch, und das Tröpfchen löſt ſich von dem wiegenden Tannenzweig
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[205/0215]
dieſe läuft zu mir in das Winkelhüterhaus, daß ich
kommen und ſehen möge, was das ſei.
Es iſt ſehr merkwürdig. Eine Nachricht iſt es
von dem Knaben. Auf dem Papier ſtehen in frem-
den Zügen die Worte:
„Meine Mutter und meine Schweſter! Habt
keinen Groll und keine Sorge. Ich bin in der
Schule des Kreuzes. Lazarus.“
— — — — — — — — — —
Die Leute richten ihre Blicke auf mich. Der
Knabe kann nicht leſen und ſchreiben, faſt niemand
kann es im Walde. Die Leute meinen, ich ſei hoch-
gelehrt, ich müſſe von Allem wiſſen.
Ich weiß von nichts. Die Schule des Kreuzes,
das iſt ein geheimnißvolles Wort.
Allerſeelen 1817.
Das iſt ein lautloſes Auf- und Niedergehen
der Menſchen.
Ein Tröpfchen ſammelt ſich am hohen Zweig
des Baumes, ſickert hinaus auf die letzte Nadel,
wiegt ſich und glitzert und funkelt, oft grau, wie
Blei, oft roth, wie Karfunkel. Kaum noch hat es
die Farbenpracht des Waldes und des Himmels in
ſich geſpiegelt, ſo zieht ein Lufthauch, und das
Tröpfchen löſt ſich von dem wiegenden Tannenzweig
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/215>, abgerufen am 23.11.2024.
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