Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.Tag auf den Augenlidern, die der heutige schon Im Walde ist bereits das zitternde, rieselnde Und dennoch habe ich zur selbigen Stunde Da habe ich mir's von Neuem gelobt, zu Tag auf den Augenlidern, die der heutige ſchon Im Walde iſt bereits das zitternde, rieſelnde Und dennoch habe ich zur ſelbigen Stunde Da habe ich mir’s von Neuem gelobt, zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0206" n="196"/> Tag auf den Augenlidern, die der heutige ſchon<lb/> wieder wach begehrt.</p><lb/> <p>Im Walde iſt bereits das zitternde, rieſelnde<lb/> Erlöſen aus tiefer Ruhe. Wie iſt eines Geneſenen<lb/> erſter Ausgang ſo eigen! Man meint, der ganze<lb/> Erdboden ſchaukelt mit Einem — ſchaukelt ſein<lb/> wiedergebornes Kind in den Armen. O du heiliger<lb/> Maimorgen, gebadet in Thau und Wohlduft, durch-<lb/> zittert und durchklungen von ewigen Gottesgedanken!<lb/> — Wie gedenke ich Dein und deines Märchen-<lb/> zaubers, der ſich zu dieſer Stunde von der Glocke<lb/> des Himmels und von den Kronen des Waldes<lb/> niedergeſenkt hat in meine Seele!</p><lb/> <p>Und dennoch habe ich zur ſelbigen Stunde<lb/> ein ſeltſam Weh empfunden. — Mir iſt die Jugend<lb/> gegeben und ich lebe ſie nicht. Was iſt mein Zweck?<lb/> Was bedeute ich? — Kurz vor dieſen Tagen bin<lb/> ich ſeit Ewigkeit her ein Nichts geweſen; kurz <hi rendition="#g">nach</hi><lb/> dieſen Tagen werde ich ein Nichts ſein in Ewigkeit<lb/> hin. Was ſoll ich thun? Warum bin ich an dieſer<lb/> kleinen Stelle und zu dieſer kurzen Zeit mir meiner<lb/> bewußt worden? Warum bin ich erwacht? Was<lb/> muß ich thun? —</p><lb/> <p>Da habe ich mir’s von Neuem gelobt, zu<lb/> arbeiten nach allen meinen Kräften, und auch zu<lb/> beten, daß mir ſo ſchwere, herzverbrennende Ge-<lb/> danken nicht mehr kommen mögen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [196/0206]
Tag auf den Augenlidern, die der heutige ſchon
wieder wach begehrt.
Im Walde iſt bereits das zitternde, rieſelnde
Erlöſen aus tiefer Ruhe. Wie iſt eines Geneſenen
erſter Ausgang ſo eigen! Man meint, der ganze
Erdboden ſchaukelt mit Einem — ſchaukelt ſein
wiedergebornes Kind in den Armen. O du heiliger
Maimorgen, gebadet in Thau und Wohlduft, durch-
zittert und durchklungen von ewigen Gottesgedanken!
— Wie gedenke ich Dein und deines Märchen-
zaubers, der ſich zu dieſer Stunde von der Glocke
des Himmels und von den Kronen des Waldes
niedergeſenkt hat in meine Seele!
Und dennoch habe ich zur ſelbigen Stunde
ein ſeltſam Weh empfunden. — Mir iſt die Jugend
gegeben und ich lebe ſie nicht. Was iſt mein Zweck?
Was bedeute ich? — Kurz vor dieſen Tagen bin
ich ſeit Ewigkeit her ein Nichts geweſen; kurz nach
dieſen Tagen werde ich ein Nichts ſein in Ewigkeit
hin. Was ſoll ich thun? Warum bin ich an dieſer
kleinen Stelle und zu dieſer kurzen Zeit mir meiner
bewußt worden? Warum bin ich erwacht? Was
muß ich thun? —
Da habe ich mir’s von Neuem gelobt, zu
arbeiten nach allen meinen Kräften, und auch zu
beten, daß mir ſo ſchwere, herzverbrennende Ge-
danken nicht mehr kommen mögen.
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