Auch die Alte kommt mir immer näher, thut zwei- mal den Mund auf und unverrichteter Sache wieder zu, und murmelt dann in ihr blaues Halstuch hinein: "Ich red's doch nicht -- 's wird gescheidter sein."
Ich bin ihrer Furchtsamkeit zu Hilfe gekommen: "Allfort wolauf, Mutterle?"
"Dank euch Gott die Frag'," entgegnet sie sogleich und rückt mir noch näher, "diemal ja, -- unberufen. Was noch kommen wird, weiß Unser- eins nicht. Und daß ich's nur daher red', wie ich's versteh': Er ist ein gelehrsamer Mann, sagen die Leut, nachher wird Er das Wahrsagen wol auch kennen? -- Gar nicht? -- Aber das, hätt' ich gemeint, sollt' so ein Mensch wol lernen. Und von wegen dem Lottospiel, weil wir schon so weit be- kannt sind: weiß Er keine Nummern?"
"Jeßtl und Josef," schreit jetzt das junge Weib plötzlich auf, "eilet, eilet, Mutterle, mir däucht, das Kätzl ist in's Wasserschaff gekugelt!"
Da wackelt die Alte gegen den Winkel hin, in welchem früher der Bartelmei gewesen; aber das Kätzlein ist schon fort, ist vielleicht gar nie im Wasser gewesen. Die Annamirl wird sich der kindi- schen Fragen ihrer Mutter schämen, und hat ihnen durch obige List ein Ende gemacht.
Am andern Tag, als die Morgenröthe durch den weißen Kohlenrauch hat geglüht, sind von allen
Auch die Alte kommt mir immer näher, thut zwei- mal den Mund auf und unverrichteter Sache wieder zu, und murmelt dann in ihr blaues Halstuch hinein: „Ich red’s doch nicht — ’s wird geſcheidter ſein.“
Ich bin ihrer Furchtſamkeit zu Hilfe gekommen: „Allfort wolauf, Mutterle?“
„Dank euch Gott die Frag’,“ entgegnet ſie ſogleich und rückt mir noch näher, „diemal ja, — unberufen. Was noch kommen wird, weiß Unſer- eins nicht. Und daß ich’s nur daher red’, wie ich’s verſteh’: Er iſt ein gelehrſamer Mann, ſagen die Leut, nachher wird Er das Wahrſagen wol auch kennen? — Gar nicht? — Aber das, hätt’ ich gemeint, ſollt’ ſo ein Menſch wol lernen. Und von wegen dem Lottoſpiel, weil wir ſchon ſo weit be- kannt ſind: weiß Er keine Nummern?“
„Jeßtl und Joſef,“ ſchreit jetzt das junge Weib plötzlich auf, „eilet, eilet, Mutterle, mir däucht, das Kätzl iſt in’s Waſſerſchaff gekugelt!“
Da wackelt die Alte gegen den Winkel hin, in welchem früher der Bartelmei geweſen; aber das Kätzlein iſt ſchon fort, iſt vielleicht gar nie im Waſſer geweſen. Die Annamirl wird ſich der kindi- ſchen Fragen ihrer Mutter ſchämen, und hat ihnen durch obige Liſt ein Ende gemacht.
Am andern Tag, als die Morgenröthe durch den weißen Kohlenrauch hat geglüht, ſind von allen
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Auch die Alte kommt mir immer näher, thut zwei-
mal den Mund auf und unverrichteter Sache wieder
zu, und murmelt dann in ihr blaues Halstuch hinein:
„Ich red’s doch nicht — ’s wird geſcheidter ſein.“
Ich bin ihrer Furchtſamkeit zu Hilfe gekommen:
„Allfort wolauf, Mutterle?“
„Dank euch Gott die Frag’,“ entgegnet ſie
ſogleich und rückt mir noch näher, „diemal ja, —
unberufen. Was noch kommen wird, weiß Unſer-
eins nicht. Und daß ich’s nur daher red’, wie ich’s
verſteh’: Er iſt ein gelehrſamer Mann, ſagen die
Leut, nachher wird Er das Wahrſagen wol auch
kennen? — Gar nicht? — Aber das, hätt’ ich
gemeint, ſollt’ ſo ein Menſch wol lernen. Und von
wegen dem Lottoſpiel, weil wir ſchon ſo weit be-
kannt ſind: weiß Er keine Nummern?“
„Jeßtl und Joſef,“ ſchreit jetzt das junge
Weib plötzlich auf, „eilet, eilet, Mutterle, mir
däucht, das Kätzl iſt in’s Waſſerſchaff gekugelt!“
Da wackelt die Alte gegen den Winkel hin,
in welchem früher der Bartelmei geweſen; aber das
Kätzlein iſt ſchon fort, iſt vielleicht gar nie im
Waſſer geweſen. Die Annamirl wird ſich der kindi-
ſchen Fragen ihrer Mutter ſchämen, und hat ihnen
durch obige Liſt ein Ende gemacht.
Am andern Tag, als die Morgenröthe durch
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/174>, abgerufen am 24.11.2024.
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