"Nachher freilich, nachher müssen wir schon trachten, daß wir dich loskriegen," sage ich, klettere an der Wand ein wenig empor, und heb' an dem Burschen zu zerren an, bis wir die zweite Hand heraus haben; dann geht's schon leichter. Nicht lange darauf, so steht er am Boden, sucht seinen davongerollten Spitzhut auf, schlingt sich die steif- gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch- rothem Gesicht nochmals empor zu dem Rauchfenster- lein und ruft: "Du Höllsaggra, da hat's mich der- wischt gehabt!"
Dann sind wir in der Dämmerung zusammen hinabgestiegen gegen den Winkelegger Wald. Der Bursche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich habe versucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn versichert, daß ich's ja gleich erkannt, er sei kein Dieb.
"Und morgen wirst also zu Holdenschlag bei der Hochzeit sein! Bist zuletzt gar der Braut- führer, he?"
"Der Brautführer, nein, dasselb' bin ich nicht."
"Leicht hätten sie's zu Holdenschlag auch allein gemacht, wärst da oben stecken geblieben."
Er zieht den Hut über die Augen, und blickt auf die schlüpferigen Baumwurzeln, über die wir nun hinabsteigen.
"Allein," meint er endlich, "nein, dasselb' glaub' ich nicht. Wisset, die Sach' geht halt so zu,
„Nachher freilich, nachher müſſen wir ſchon trachten, daß wir dich loskriegen,“ ſage ich, klettere an der Wand ein wenig empor, und heb’ an dem Burſchen zu zerren an, bis wir die zweite Hand heraus haben; dann geht’s ſchon leichter. Nicht lange darauf, ſo ſteht er am Boden, ſucht ſeinen davongerollten Spitzhut auf, ſchlingt ſich die ſteif- gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch- rothem Geſicht nochmals empor zu dem Rauchfenſter- lein und ruft: „Du Höllſaggra, da hat’s mich der- wiſcht gehabt!“
Dann ſind wir in der Dämmerung zuſammen hinabgeſtiegen gegen den Winkelegger Wald. Der Burſche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich habe verſucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn verſichert, daß ich’s ja gleich erkannt, er ſei kein Dieb.
„Und morgen wirſt alſo zu Holdenſchlag bei der Hochzeit ſein! Biſt zuletzt gar der Braut- führer, he?“
„Der Brautführer, nein, dasſelb’ bin ich nicht.“
„Leicht hätten ſie’s zu Holdenſchlag auch allein gemacht, wärſt da oben ſtecken geblieben.“
Er zieht den Hut über die Augen, und blickt auf die ſchlüpferigen Baumwurzeln, über die wir nun hinabſteigen.
„Allein,“ meint er endlich, „nein, dasſelb’ glaub’ ich nicht. Wiſſet, die Sach’ geht halt ſo zu,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0168"n="158"/><p>„Nachher freilich, nachher müſſen wir ſchon<lb/>
trachten, daß wir dich loskriegen,“ſage ich, klettere<lb/>
an der Wand ein wenig empor, und heb’ an dem<lb/>
Burſchen zu zerren an, bis wir die zweite Hand<lb/>
heraus haben; dann geht’s ſchon leichter. Nicht<lb/>
lange darauf, ſo ſteht er am Boden, ſucht ſeinen<lb/>
davongerollten Spitzhut auf, ſchlingt ſich die ſteif-<lb/>
gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch-<lb/>
rothem Geſicht nochmals empor zu dem Rauchfenſter-<lb/>
lein und ruft: „Du Höllſaggra, da hat’s mich der-<lb/>
wiſcht gehabt!“</p><lb/><p>Dann ſind wir in der Dämmerung zuſammen<lb/>
hinabgeſtiegen gegen den Winkelegger Wald. Der<lb/>
Burſche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich<lb/>
habe verſucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn<lb/>
verſichert, daß ich’s ja gleich erkannt, er ſei kein Dieb.</p><lb/><p>„Und morgen wirſt alſo zu Holdenſchlag bei<lb/>
der Hochzeit ſein! Biſt zuletzt gar der Braut-<lb/>
führer, he?“</p><lb/><p>„Der Brautführer, nein, dasſelb’ bin ich nicht.“</p><lb/><p>„Leicht hätten ſie’s zu Holdenſchlag auch allein<lb/>
gemacht, wärſt da oben ſtecken geblieben.“</p><lb/><p>Er zieht den Hut über die Augen, und blickt<lb/>
auf die ſchlüpferigen Baumwurzeln, über die wir<lb/>
nun hinabſteigen.</p><lb/><p>„Allein,“ meint er endlich, „nein, dasſelb’<lb/>
glaub’ ich nicht. Wiſſet, die Sach’ geht halt ſo zu,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[158/0168]
„Nachher freilich, nachher müſſen wir ſchon
trachten, daß wir dich loskriegen,“ ſage ich, klettere
an der Wand ein wenig empor, und heb’ an dem
Burſchen zu zerren an, bis wir die zweite Hand
heraus haben; dann geht’s ſchon leichter. Nicht
lange darauf, ſo ſteht er am Boden, ſucht ſeinen
davongerollten Spitzhut auf, ſchlingt ſich die ſteif-
gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch-
rothem Geſicht nochmals empor zu dem Rauchfenſter-
lein und ruft: „Du Höllſaggra, da hat’s mich der-
wiſcht gehabt!“
Dann ſind wir in der Dämmerung zuſammen
hinabgeſtiegen gegen den Winkelegger Wald. Der
Burſche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich
habe verſucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn
verſichert, daß ich’s ja gleich erkannt, er ſei kein Dieb.
„Und morgen wirſt alſo zu Holdenſchlag bei
der Hochzeit ſein! Biſt zuletzt gar der Braut-
führer, he?“
„Der Brautführer, nein, dasſelb’ bin ich nicht.“
„Leicht hätten ſie’s zu Holdenſchlag auch allein
gemacht, wärſt da oben ſtecken geblieben.“
Er zieht den Hut über die Augen, und blickt
auf die ſchlüpferigen Baumwurzeln, über die wir
nun hinabſteigen.
„Allein,“ meint er endlich, „nein, dasſelb’
glaub’ ich nicht. Wiſſet, die Sach’ geht halt ſo zu,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/168>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.