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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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"Nachher freilich, nachher müssen wir schon
trachten, daß wir dich loskriegen," sage ich, klettere
an der Wand ein wenig empor, und heb' an dem
Burschen zu zerren an, bis wir die zweite Hand
heraus haben; dann geht's schon leichter. Nicht
lange darauf, so steht er am Boden, sucht seinen
davongerollten Spitzhut auf, schlingt sich die steif-
gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch-
rothem Gesicht nochmals empor zu dem Rauchfenster-
lein und ruft: "Du Höllsaggra, da hat's mich der-
wischt gehabt!"

Dann sind wir in der Dämmerung zusammen
hinabgestiegen gegen den Winkelegger Wald. Der
Bursche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich
habe versucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn
versichert, daß ich's ja gleich erkannt, er sei kein Dieb.

"Und morgen wirst also zu Holdenschlag bei
der Hochzeit sein! Bist zuletzt gar der Braut-
führer, he?"

"Der Brautführer, nein, dasselb' bin ich nicht."

"Leicht hätten sie's zu Holdenschlag auch allein
gemacht, wärst da oben stecken geblieben."

Er zieht den Hut über die Augen, und blickt
auf die schlüpferigen Baumwurzeln, über die wir
nun hinabsteigen.

"Allein," meint er endlich, "nein, dasselb'
glaub' ich nicht. Wisset, die Sach' geht halt so zu,

„Nachher freilich, nachher müſſen wir ſchon
trachten, daß wir dich loskriegen,“ ſage ich, klettere
an der Wand ein wenig empor, und heb’ an dem
Burſchen zu zerren an, bis wir die zweite Hand
heraus haben; dann geht’s ſchon leichter. Nicht
lange darauf, ſo ſteht er am Boden, ſucht ſeinen
davongerollten Spitzhut auf, ſchlingt ſich die ſteif-
gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch-
rothem Geſicht nochmals empor zu dem Rauchfenſter-
lein und ruft: „Du Höllſaggra, da hat’s mich der-
wiſcht gehabt!“

Dann ſind wir in der Dämmerung zuſammen
hinabgeſtiegen gegen den Winkelegger Wald. Der
Burſche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich
habe verſucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn
verſichert, daß ich’s ja gleich erkannt, er ſei kein Dieb.

„Und morgen wirſt alſo zu Holdenſchlag bei
der Hochzeit ſein! Biſt zuletzt gar der Braut-
führer, he?“

„Der Brautführer, nein, dasſelb’ bin ich nicht.“

„Leicht hätten ſie’s zu Holdenſchlag auch allein
gemacht, wärſt da oben ſtecken geblieben.“

Er zieht den Hut über die Augen, und blickt
auf die ſchlüpferigen Baumwurzeln, über die wir
nun hinabſteigen.

„Allein,“ meint er endlich, „nein, dasſelb’
glaub’ ich nicht. Wiſſet, die Sach’ geht halt ſo zu,

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[158/0168] „Nachher freilich, nachher müſſen wir ſchon trachten, daß wir dich loskriegen,“ ſage ich, klettere an der Wand ein wenig empor, und heb’ an dem Burſchen zu zerren an, bis wir die zweite Hand heraus haben; dann geht’s ſchon leichter. Nicht lange darauf, ſo ſteht er am Boden, ſucht ſeinen davongerollten Spitzhut auf, ſchlingt ſich die ſteif- gewordenen Arme und Beine ein, blickt mit hoch- rothem Geſicht nochmals empor zu dem Rauchfenſter- lein und ruft: „Du Höllſaggra, da hat’s mich der- wiſcht gehabt!“ Dann ſind wir in der Dämmerung zuſammen hinabgeſtiegen gegen den Winkelegger Wald. Der Burſche hat nicht recht mit mir reden wollen. Ich habe verſucht, meine Bosheit gut zu machen, habe ihn verſichert, daß ich’s ja gleich erkannt, er ſei kein Dieb. „Und morgen wirſt alſo zu Holdenſchlag bei der Hochzeit ſein! Biſt zuletzt gar der Braut- führer, he?“ „Der Brautführer, nein, dasſelb’ bin ich nicht.“ „Leicht hätten ſie’s zu Holdenſchlag auch allein gemacht, wärſt da oben ſtecken geblieben.“ Er zieht den Hut über die Augen, und blickt auf die ſchlüpferigen Baumwurzeln, über die wir nun hinabſteigen. „Allein,“ meint er endlich, „nein, dasſelb’ glaub’ ich nicht. Wiſſet, die Sach’ geht halt ſo zu,

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/168>, abgerufen am 21.11.2024.