nun wankt der Riese, knickt ein, rauschend und pfeifend in einem ungeheuren Bogen fällt er hin, mit wildem Krachen stürzt er zu Boden. Leer ist es in der Luft, eine Lücke hat der Wald. Hundert Frühlinge haben ihn emporgehoben mit ihrer Liebe und Milde; jetzt ist er todt, und die Welt ist und bleibt ganz auch ohne ihn -- den leben- digen Baum.
Still stehen die zwei, drei Menschlein, sie stützen sich auf den Beilstiel und blicken auf ihr Opfer. Sie klagen nicht, sie jauchzen nicht, eine grausame Kaltblütigkeit liegt auf ihren rauhen, sonnverbrannten Zügen; ihr Gesicht und ihre Hände sehen ja völlig aus, wie von Fichtenrinden. Sie stopfen sich ein Pfeiflein, schärfen die Hacken und gehen wieder an die Arbeit. Sie hauen die Aeste von dem hingestreckten Stamme, sie schürfen ihm mit einem breiten Messer die Rinden ab, sie schnei- den ihn vielleicht gar in klafterlange Stücke; -- und nun liegt der stolze Baum, der viele Menschen- alter lang gegrünt und gesäuselt; dessen Großvater vielleicht die Vollmondfestnächte der alten Germanen beschattet -- nun liegt er da in nackten Klötzen.
Der Holzhauer denkt nicht daran, kann nicht daran denken, nur daß er sich, wenn der "Meister- knecht" nicht zugegen, ein wenig auf den weißen Stock mit den Jahresringen setzt, und sich wieder
nun wankt der Rieſe, knickt ein, rauſchend und pfeifend in einem ungeheuren Bogen fällt er hin, mit wildem Krachen ſtürzt er zu Boden. Leer iſt es in der Luft, eine Lücke hat der Wald. Hundert Frühlinge haben ihn emporgehoben mit ihrer Liebe und Milde; jetzt iſt er todt, und die Welt iſt und bleibt ganz auch ohne ihn — den leben- digen Baum.
Still ſtehen die zwei, drei Menſchlein, ſie ſtützen ſich auf den Beilſtiel und blicken auf ihr Opfer. Sie klagen nicht, ſie jauchzen nicht, eine grauſame Kaltblütigkeit liegt auf ihren rauhen, ſonnverbrannten Zügen; ihr Geſicht und ihre Hände ſehen ja völlig aus, wie von Fichtenrinden. Sie ſtopfen ſich ein Pfeiflein, ſchärfen die Hacken und gehen wieder an die Arbeit. Sie hauen die Aeſte von dem hingeſtreckten Stamme, ſie ſchürfen ihm mit einem breiten Meſſer die Rinden ab, ſie ſchnei- den ihn vielleicht gar in klafterlange Stücke; — und nun liegt der ſtolze Baum, der viele Menſchen- alter lang gegrünt und geſäuſelt; deſſen Großvater vielleicht die Vollmondfeſtnächte der alten Germanen beſchattet — nun liegt er da in nackten Klötzen.
Der Holzhauer denkt nicht daran, kann nicht daran denken, nur daß er ſich, wenn der „Meiſter- knecht“ nicht zugegen, ein wenig auf den weißen Stock mit den Jahresringen ſetzt, und ſich wieder
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nun wankt der Rieſe, knickt ein, rauſchend und
pfeifend in einem ungeheuren Bogen fällt er hin,
mit wildem Krachen ſtürzt er zu Boden. Leer iſt
es in der Luft, eine Lücke hat der Wald. Hundert
Frühlinge haben ihn emporgehoben mit ihrer Liebe
und Milde; jetzt iſt er todt, und die Welt iſt
und bleibt ganz auch ohne ihn — den leben-
digen Baum.
Still ſtehen die zwei, drei Menſchlein, ſie
ſtützen ſich auf den Beilſtiel und blicken auf ihr
Opfer. Sie klagen nicht, ſie jauchzen nicht, eine
grauſame Kaltblütigkeit liegt auf ihren rauhen,
ſonnverbrannten Zügen; ihr Geſicht und ihre Hände
ſehen ja völlig aus, wie von Fichtenrinden. Sie
ſtopfen ſich ein Pfeiflein, ſchärfen die Hacken und
gehen wieder an die Arbeit. Sie hauen die Aeſte
von dem hingeſtreckten Stamme, ſie ſchürfen ihm
mit einem breiten Meſſer die Rinden ab, ſie ſchnei-
den ihn vielleicht gar in klafterlange Stücke; —
und nun liegt der ſtolze Baum, der viele Menſchen-
alter lang gegrünt und geſäuſelt; deſſen Großvater
vielleicht die Vollmondfeſtnächte der alten Germanen
beſchattet — nun liegt er da in nackten Klötzen.
Der Holzhauer denkt nicht daran, kann nicht
daran denken, nur daß er ſich, wenn der „Meiſter-
knecht“ nicht zugegen, ein wenig auf den weißen
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/130>, abgerufen am 27.11.2024.
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