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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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letztlich in den feuchten Schleier des Nebels kommt
und in demselben planlos umherirrt zwischen dem
Gestein.

Auf einem der niedergestürzten Felsblöcke die-
ses letzten Thales des Waldlandes steht ein Kreuz.
Es ist sehr unbeholfen aus zwei rohen Holzstücken
gezimmert; es hängt stellenweise die Rinde noch
daran. Still steht es da in der verlornen Oede; es
ist, wie die erste Kunde von dem Welterlöser, welche
der heilige Bonifaz vormaleinst in den deutschen
Wildnissen aus den Stämmen des Waldes aufge-
pflanzt hat.

Die Eidechse schlüpft unter dem Felsengrunde
dahin; ein Rehlein trippelt heran mit seinen
schlanken Füßen und blickt mit hochgehobenem Kopf
und klugen Augen zu dem Kreuzbilde empor. Es
will ihm schier bedünken, das Ding sei nicht so
geradewegs gewachsen auf dem Stein; es hebt
ängstlich an, hin und her zu lugen, es schwant
ihm von jenem schrecklichen Wesen, das schlank wie
ein Baum auf zwei Beinen einherzieht und den
knallenden Blitzstrahl schleudert nach ihm, dem
armen, harm- und wehrlosen Thiere. Des Ent-
setzens voll schlägt es seine Beine aus und eilt
von dannen.

Ich habe schon mehrmals nach der Bedeutung
jenes Kreuzes gefragt. Seit Gedenken steht es auf

Rosegger: Waldschulmeister. 8

letztlich in den feuchten Schleier des Nebels kommt
und in demſelben planlos umherirrt zwiſchen dem
Geſtein.

Auf einem der niedergeſtürzten Felsblöcke die-
ſes letzten Thales des Waldlandes ſteht ein Kreuz.
Es iſt ſehr unbeholfen aus zwei rohen Holzſtücken
gezimmert; es hängt ſtellenweiſe die Rinde noch
daran. Still ſteht es da in der verlornen Oede; es
iſt, wie die erſte Kunde von dem Welterlöſer, welche
der heilige Bonifaz vormaleinſt in den deutſchen
Wildniſſen aus den Stämmen des Waldes aufge-
pflanzt hat.

Die Eidechſe ſchlüpft unter dem Felſengrunde
dahin; ein Rehlein trippelt heran mit ſeinen
ſchlanken Füßen und blickt mit hochgehobenem Kopf
und klugen Augen zu dem Kreuzbilde empor. Es
will ihm ſchier bedünken, das Ding ſei nicht ſo
geradewegs gewachſen auf dem Stein; es hebt
ängſtlich an, hin und her zu lugen, es ſchwant
ihm von jenem ſchrecklichen Weſen, das ſchlank wie
ein Baum auf zwei Beinen einherzieht und den
knallenden Blitzſtrahl ſchleudert nach ihm, dem
armen, harm- und wehrloſen Thiere. Des Ent-
ſetzens voll ſchlägt es ſeine Beine aus und eilt
von dannen.

Ich habe ſchon mehrmals nach der Bedeutung
jenes Kreuzes gefragt. Seit Gedenken ſteht es auf

Roſegger: Waldſchulmeiſter. 8
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[113/0123] letztlich in den feuchten Schleier des Nebels kommt und in demſelben planlos umherirrt zwiſchen dem Geſtein. Auf einem der niedergeſtürzten Felsblöcke die- ſes letzten Thales des Waldlandes ſteht ein Kreuz. Es iſt ſehr unbeholfen aus zwei rohen Holzſtücken gezimmert; es hängt ſtellenweiſe die Rinde noch daran. Still ſteht es da in der verlornen Oede; es iſt, wie die erſte Kunde von dem Welterlöſer, welche der heilige Bonifaz vormaleinſt in den deutſchen Wildniſſen aus den Stämmen des Waldes aufge- pflanzt hat. Die Eidechſe ſchlüpft unter dem Felſengrunde dahin; ein Rehlein trippelt heran mit ſeinen ſchlanken Füßen und blickt mit hochgehobenem Kopf und klugen Augen zu dem Kreuzbilde empor. Es will ihm ſchier bedünken, das Ding ſei nicht ſo geradewegs gewachſen auf dem Stein; es hebt ängſtlich an, hin und her zu lugen, es ſchwant ihm von jenem ſchrecklichen Weſen, das ſchlank wie ein Baum auf zwei Beinen einherzieht und den knallenden Blitzſtrahl ſchleudert nach ihm, dem armen, harm- und wehrloſen Thiere. Des Ent- ſetzens voll ſchlägt es ſeine Beine aus und eilt von dannen. Ich habe ſchon mehrmals nach der Bedeutung jenes Kreuzes gefragt. Seit Gedenken ſteht es auf Roſegger: Waldſchulmeiſter. 8

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/123>, abgerufen am 27.11.2024.