Riesenburgen, die da oben ragen und vormaleinst ein Eden gewahrt haben sollen, das heute verstei- nert und in Starrniß versunken ist. So die Sage. Daß doch dieser wundersame Traum von einer einstigen verlornen Glückseligkeit die Herzen aller Völker und Volksschichten durchdämmert!
Daß jenseits des Alpenstockes wieder menschen- bewohnte Gegenden beginnen, das wollen mir viele Leute hier gar nicht glauben. Nur ein alter, schlau- blinzelnder Kohlenbrenner sagt, sein Großvater hätte wol einmal erzählt, es seien da hinten drüben Menschenwesen, die so hohe und spitze Hüte trügen, daß, wenn sie des Nachts auf den Bergen herum- gingen, sie nicht selten damit einen Stern vom Himmel stechen thäten. Und der Herrgott müßt des Abends jedmal sorgsam die Wolken vorschieben, sonst hätt' er längst mehr kein einzig Sternlein an seinem Himmel.
Der Schalk hat die Spitzhüte der Tiroler gemeint.
Wo nun dieses Waldland von dem Urgebirge begrenzt wird, sind gar verrufene Stellen. Dort hat man schon manchen todten Gemsjäger gefunden, dem ein Körnlein Blei mitten durch die Brust ge- gangen. Auch bricht, sagen die Leute, aus einer der zahlreichen Felsenhöhlungen zuweilen ein Un- geheuer hervor, das Alles verschlingt, das aber im
Rieſenburgen, die da oben ragen und vormaleinſt ein Eden gewahrt haben ſollen, das heute verſtei- nert und in Starrniß verſunken iſt. So die Sage. Daß doch dieſer wunderſame Traum von einer einſtigen verlornen Glückſeligkeit die Herzen aller Völker und Volksſchichten durchdämmert!
Daß jenſeits des Alpenſtockes wieder menſchen- bewohnte Gegenden beginnen, das wollen mir viele Leute hier gar nicht glauben. Nur ein alter, ſchlau- blinzelnder Kohlenbrenner ſagt, ſein Großvater hätte wol einmal erzählt, es ſeien da hinten drüben Menſchenweſen, die ſo hohe und ſpitze Hüte trügen, daß, wenn ſie des Nachts auf den Bergen herum- gingen, ſie nicht ſelten damit einen Stern vom Himmel ſtechen thäten. Und der Herrgott müßt des Abends jedmal ſorgſam die Wolken vorſchieben, ſonſt hätt’ er längſt mehr kein einzig Sternlein an ſeinem Himmel.
Der Schalk hat die Spitzhüte der Tiroler gemeint.
Wo nun dieſes Waldland von dem Urgebirge begrenzt wird, ſind gar verrufene Stellen. Dort hat man ſchon manchen todten Gemsjäger gefunden, dem ein Körnlein Blei mitten durch die Bruſt ge- gangen. Auch bricht, ſagen die Leute, aus einer der zahlreichen Felſenhöhlungen zuweilen ein Un- geheuer hervor, das Alles verſchlingt, das aber im
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0120"n="110"/>
Rieſenburgen, die da oben ragen und vormaleinſt<lb/>
ein Eden gewahrt haben ſollen, das heute verſtei-<lb/>
nert und in Starrniß verſunken iſt. So die Sage.<lb/>
Daß doch dieſer wunderſame Traum von einer<lb/>
einſtigen verlornen Glückſeligkeit die Herzen <hirendition="#g">aller</hi><lb/>
Völker und Volksſchichten durchdämmert!</p><lb/><p>Daß jenſeits des Alpenſtockes wieder menſchen-<lb/>
bewohnte Gegenden beginnen, das wollen mir viele<lb/>
Leute hier gar nicht glauben. Nur ein alter, ſchlau-<lb/>
blinzelnder Kohlenbrenner ſagt, ſein Großvater<lb/>
hätte wol einmal erzählt, es ſeien da hinten drüben<lb/>
Menſchenweſen, die ſo hohe und ſpitze Hüte trügen,<lb/>
daß, wenn ſie des Nachts auf den Bergen herum-<lb/>
gingen, ſie nicht ſelten damit einen Stern vom<lb/>
Himmel ſtechen thäten. Und der Herrgott müßt des<lb/>
Abends jedmal ſorgſam die Wolken vorſchieben,<lb/>ſonſt hätt’ er längſt mehr kein einzig Sternlein<lb/>
an ſeinem Himmel.</p><lb/><p>Der Schalk hat die Spitzhüte der Tiroler<lb/>
gemeint.</p><lb/><p>Wo nun dieſes Waldland von dem Urgebirge<lb/>
begrenzt wird, ſind gar verrufene Stellen. Dort<lb/>
hat man ſchon manchen todten Gemsjäger gefunden,<lb/>
dem ein Körnlein Blei mitten durch die Bruſt ge-<lb/>
gangen. Auch bricht, ſagen die Leute, aus einer<lb/>
der zahlreichen Felſenhöhlungen zuweilen ein Un-<lb/>
geheuer hervor, das Alles verſchlingt, das aber im<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[110/0120]
Rieſenburgen, die da oben ragen und vormaleinſt
ein Eden gewahrt haben ſollen, das heute verſtei-
nert und in Starrniß verſunken iſt. So die Sage.
Daß doch dieſer wunderſame Traum von einer
einſtigen verlornen Glückſeligkeit die Herzen aller
Völker und Volksſchichten durchdämmert!
Daß jenſeits des Alpenſtockes wieder menſchen-
bewohnte Gegenden beginnen, das wollen mir viele
Leute hier gar nicht glauben. Nur ein alter, ſchlau-
blinzelnder Kohlenbrenner ſagt, ſein Großvater
hätte wol einmal erzählt, es ſeien da hinten drüben
Menſchenweſen, die ſo hohe und ſpitze Hüte trügen,
daß, wenn ſie des Nachts auf den Bergen herum-
gingen, ſie nicht ſelten damit einen Stern vom
Himmel ſtechen thäten. Und der Herrgott müßt des
Abends jedmal ſorgſam die Wolken vorſchieben,
ſonſt hätt’ er längſt mehr kein einzig Sternlein
an ſeinem Himmel.
Der Schalk hat die Spitzhüte der Tiroler
gemeint.
Wo nun dieſes Waldland von dem Urgebirge
begrenzt wird, ſind gar verrufene Stellen. Dort
hat man ſchon manchen todten Gemsjäger gefunden,
dem ein Körnlein Blei mitten durch die Bruſt ge-
gangen. Auch bricht, ſagen die Leute, aus einer
der zahlreichen Felſenhöhlungen zuweilen ein Un-
geheuer hervor, das Alles verſchlingt, das aber im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/120>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.