Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.erst -- erst vor ein paar Tagen sprach sie davon. Marie schien verwirrt. Es war eine schöne Zeit, sagte ich, und Franz und ich lebten als glückliche Knaben und Jünglinge. Das glaub' ich! rief sie lebhaft. Aber ich begreife nicht, wie er hat zurück und in die Einsamkeit gehen können! Was hat er hier? Ach, ich denke mir, wenn man einmal die große Welt draußen gesehen hat, kann man hier bei uns nicht mehr froh werden! Hier ist Alles eng und klein. Aber Sie selbst sehnen sich doch nicht von hier weg? unterbrach ich sie. -- Warum nicht? rief sie. Wenn mein Bruder mir erzählt von der Zeit, wo er studirte, und was er Alles erlebte, dann geht mir das Herz auf. Ich möchte hinaus, ich möchte auch etwas erleben! Und wenn ich an seinen Bücherschrank gerathe und einmal ins Lesen komme, dann wird mir's überall zu eng. Muß es da nicht wunderschön sein, wo all Das gedacht und erlebt wird? Was giebt es da zu sehen und zu hören! Es muß ja eine ganze Welt voll Freude und Glück sein! In Berlin möchte ich wohnen, da kann es nur glückliche Menschen geben! Dieses Bekenntniß befremdete mich sehr, aber noch mehr der Eifer, in den das Mädchen gerathen war. Liebe Marie, entgegnete ich, es giebt auch da tiefe Betrübniß und schwereres Unglück, als Sie sich träumen lassen. Ja, ja! sagte sie nach einer Weile mit bewegter erst — erst vor ein paar Tagen sprach sie davon. Marie schien verwirrt. Es war eine schöne Zeit, sagte ich, und Franz und ich lebten als glückliche Knaben und Jünglinge. Das glaub' ich! rief sie lebhaft. Aber ich begreife nicht, wie er hat zurück und in die Einsamkeit gehen können! Was hat er hier? Ach, ich denke mir, wenn man einmal die große Welt draußen gesehen hat, kann man hier bei uns nicht mehr froh werden! Hier ist Alles eng und klein. Aber Sie selbst sehnen sich doch nicht von hier weg? unterbrach ich sie. — Warum nicht? rief sie. Wenn mein Bruder mir erzählt von der Zeit, wo er studirte, und was er Alles erlebte, dann geht mir das Herz auf. Ich möchte hinaus, ich möchte auch etwas erleben! Und wenn ich an seinen Bücherschrank gerathe und einmal ins Lesen komme, dann wird mir's überall zu eng. Muß es da nicht wunderschön sein, wo all Das gedacht und erlebt wird? Was giebt es da zu sehen und zu hören! Es muß ja eine ganze Welt voll Freude und Glück sein! In Berlin möchte ich wohnen, da kann es nur glückliche Menschen geben! Dieses Bekenntniß befremdete mich sehr, aber noch mehr der Eifer, in den das Mädchen gerathen war. Liebe Marie, entgegnete ich, es giebt auch da tiefe Betrübniß und schwereres Unglück, als Sie sich träumen lassen. Ja, ja! sagte sie nach einer Weile mit bewegter <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0081"/> erst — erst vor ein paar Tagen sprach sie davon. Marie schien verwirrt.</p><lb/> <p>Es war eine schöne Zeit, sagte ich, und Franz und ich lebten als glückliche Knaben und Jünglinge. Das glaub' ich! rief sie lebhaft. Aber ich begreife nicht, wie er hat zurück und in die Einsamkeit gehen können! Was hat er hier? Ach, ich denke mir, wenn man einmal die große Welt draußen gesehen hat, kann man hier bei uns nicht mehr froh werden! Hier ist Alles eng und klein.</p><lb/> <p>Aber Sie selbst sehnen sich doch nicht von hier weg? unterbrach ich sie. — Warum nicht? rief sie. Wenn mein Bruder mir erzählt von der Zeit, wo er studirte, und was er Alles erlebte, dann geht mir das Herz auf. Ich möchte hinaus, ich möchte auch etwas erleben! Und wenn ich an seinen Bücherschrank gerathe und einmal ins Lesen komme, dann wird mir's überall zu eng. Muß es da nicht wunderschön sein, wo all Das gedacht und erlebt wird? Was giebt es da zu sehen und zu hören! Es muß ja eine ganze Welt voll Freude und Glück sein! In Berlin möchte ich wohnen, da kann es nur glückliche Menschen geben!</p><lb/> <p>Dieses Bekenntniß befremdete mich sehr, aber noch mehr der Eifer, in den das Mädchen gerathen war. Liebe Marie, entgegnete ich, es giebt auch da tiefe Betrübniß und schwereres Unglück, als Sie sich träumen lassen.</p><lb/> <p>Ja, ja! sagte sie nach einer Weile mit bewegter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
erst — erst vor ein paar Tagen sprach sie davon. Marie schien verwirrt.
Es war eine schöne Zeit, sagte ich, und Franz und ich lebten als glückliche Knaben und Jünglinge. Das glaub' ich! rief sie lebhaft. Aber ich begreife nicht, wie er hat zurück und in die Einsamkeit gehen können! Was hat er hier? Ach, ich denke mir, wenn man einmal die große Welt draußen gesehen hat, kann man hier bei uns nicht mehr froh werden! Hier ist Alles eng und klein.
Aber Sie selbst sehnen sich doch nicht von hier weg? unterbrach ich sie. — Warum nicht? rief sie. Wenn mein Bruder mir erzählt von der Zeit, wo er studirte, und was er Alles erlebte, dann geht mir das Herz auf. Ich möchte hinaus, ich möchte auch etwas erleben! Und wenn ich an seinen Bücherschrank gerathe und einmal ins Lesen komme, dann wird mir's überall zu eng. Muß es da nicht wunderschön sein, wo all Das gedacht und erlebt wird? Was giebt es da zu sehen und zu hören! Es muß ja eine ganze Welt voll Freude und Glück sein! In Berlin möchte ich wohnen, da kann es nur glückliche Menschen geben!
Dieses Bekenntniß befremdete mich sehr, aber noch mehr der Eifer, in den das Mädchen gerathen war. Liebe Marie, entgegnete ich, es giebt auch da tiefe Betrübniß und schwereres Unglück, als Sie sich träumen lassen.
Ja, ja! sagte sie nach einer Weile mit bewegter
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(2017-03-16T10:15:33Z)
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