Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu verrathen, würde nichts gebessert haben; aber auch im besten Falle durfte ich es nicht, zumal mir Franz selbst noch kein Vertrauen darüber geschenkt hatte. Am gerathensten schien es mir, mit Marien selbst zu sprechen und sie in Betreff Franzens zu sondiren. Ich ging durch den Garten, um ihr wo möglich zu begegnen. Da hörte ich mich angerufen. Koal, der mit einigen Knechten bei der Arbeit beschäftigt war, begrüßte mich. Ich blieb bei ihm stehen, da er sich in seiner Thätigkeit nicht stören ließ. Trotzdem war er gesprächig und gab mir auf meine Fragen allerlei Auskunft über seine Landwirthschaft. Er erzählte mir, daß er das Jahr wohl sechzig Schock Sellerie und Meerrettig (die Haupterzeugnisse des Spreewaldes) und eben so viel Fässer Gurken auf den Dresdener und Berliner Markt schicke. Da er sah, daß ich mich dafür interessirte, und durch mein wendisches Radebrechen eine vortheilhafte Meinung von mir bekommen hatte, zeigte er mir, wie die Erzeugnisse seines Bodens verpackt und in die Kähne geladen wurden. Ich mußte ihm auch in die Ställe folgen, um sein Vieh in Augenschein zu nehmen. Ich wußte aus früherer Zeit, daß das Vieh im Spreewald von seiner Geburt an im Stalle gefüttert wird, da das von Kanälen zerschnittene Terrain ein Hinaustreiben unmöglich macht. Ich sah einen Auftritt mit an, wie ein Rind auf seinen ersten Weg ins Freie geführt wurde; es war zugleich sein Todesgang, da es an einen Schlächter in Lübbenau zu verrathen, würde nichts gebessert haben; aber auch im besten Falle durfte ich es nicht, zumal mir Franz selbst noch kein Vertrauen darüber geschenkt hatte. Am gerathensten schien es mir, mit Marien selbst zu sprechen und sie in Betreff Franzens zu sondiren. Ich ging durch den Garten, um ihr wo möglich zu begegnen. Da hörte ich mich angerufen. Koal, der mit einigen Knechten bei der Arbeit beschäftigt war, begrüßte mich. Ich blieb bei ihm stehen, da er sich in seiner Thätigkeit nicht stören ließ. Trotzdem war er gesprächig und gab mir auf meine Fragen allerlei Auskunft über seine Landwirthschaft. Er erzählte mir, daß er das Jahr wohl sechzig Schock Sellerie und Meerrettig (die Haupterzeugnisse des Spreewaldes) und eben so viel Fässer Gurken auf den Dresdener und Berliner Markt schicke. Da er sah, daß ich mich dafür interessirte, und durch mein wendisches Radebrechen eine vortheilhafte Meinung von mir bekommen hatte, zeigte er mir, wie die Erzeugnisse seines Bodens verpackt und in die Kähne geladen wurden. Ich mußte ihm auch in die Ställe folgen, um sein Vieh in Augenschein zu nehmen. Ich wußte aus früherer Zeit, daß das Vieh im Spreewald von seiner Geburt an im Stalle gefüttert wird, da das von Kanälen zerschnittene Terrain ein Hinaustreiben unmöglich macht. Ich sah einen Auftritt mit an, wie ein Rind auf seinen ersten Weg ins Freie geführt wurde; es war zugleich sein Todesgang, da es an einen Schlächter in Lübbenau <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0067"/> zu verrathen, würde nichts gebessert haben; aber auch im besten Falle durfte ich es nicht, zumal mir Franz selbst noch kein Vertrauen darüber geschenkt hatte. Am gerathensten schien es mir, mit Marien selbst zu sprechen und sie in Betreff Franzens zu sondiren.</p><lb/> <p>Ich ging durch den Garten, um ihr wo möglich zu begegnen. Da hörte ich mich angerufen. Koal, der mit einigen Knechten bei der Arbeit beschäftigt war, begrüßte mich. Ich blieb bei ihm stehen, da er sich in seiner Thätigkeit nicht stören ließ. Trotzdem war er gesprächig und gab mir auf meine Fragen allerlei Auskunft über seine Landwirthschaft. Er erzählte mir, daß er das Jahr wohl sechzig Schock Sellerie und Meerrettig (die Haupterzeugnisse des Spreewaldes) und eben so viel Fässer Gurken auf den Dresdener und Berliner Markt schicke. Da er sah, daß ich mich dafür interessirte, und durch mein wendisches Radebrechen eine vortheilhafte Meinung von mir bekommen hatte, zeigte er mir, wie die Erzeugnisse seines Bodens verpackt und in die Kähne geladen wurden. Ich mußte ihm auch in die Ställe folgen, um sein Vieh in Augenschein zu nehmen. Ich wußte aus früherer Zeit, daß das Vieh im Spreewald von seiner Geburt an im Stalle gefüttert wird, da das von Kanälen zerschnittene Terrain ein Hinaustreiben unmöglich macht. Ich sah einen Auftritt mit an, wie ein Rind auf seinen ersten Weg ins Freie geführt wurde; es war zugleich sein Todesgang, da es an einen Schlächter in Lübbenau<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
zu verrathen, würde nichts gebessert haben; aber auch im besten Falle durfte ich es nicht, zumal mir Franz selbst noch kein Vertrauen darüber geschenkt hatte. Am gerathensten schien es mir, mit Marien selbst zu sprechen und sie in Betreff Franzens zu sondiren.
Ich ging durch den Garten, um ihr wo möglich zu begegnen. Da hörte ich mich angerufen. Koal, der mit einigen Knechten bei der Arbeit beschäftigt war, begrüßte mich. Ich blieb bei ihm stehen, da er sich in seiner Thätigkeit nicht stören ließ. Trotzdem war er gesprächig und gab mir auf meine Fragen allerlei Auskunft über seine Landwirthschaft. Er erzählte mir, daß er das Jahr wohl sechzig Schock Sellerie und Meerrettig (die Haupterzeugnisse des Spreewaldes) und eben so viel Fässer Gurken auf den Dresdener und Berliner Markt schicke. Da er sah, daß ich mich dafür interessirte, und durch mein wendisches Radebrechen eine vortheilhafte Meinung von mir bekommen hatte, zeigte er mir, wie die Erzeugnisse seines Bodens verpackt und in die Kähne geladen wurden. Ich mußte ihm auch in die Ställe folgen, um sein Vieh in Augenschein zu nehmen. Ich wußte aus früherer Zeit, daß das Vieh im Spreewald von seiner Geburt an im Stalle gefüttert wird, da das von Kanälen zerschnittene Terrain ein Hinaustreiben unmöglich macht. Ich sah einen Auftritt mit an, wie ein Rind auf seinen ersten Weg ins Freie geführt wurde; es war zugleich sein Todesgang, da es an einen Schlächter in Lübbenau
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/67 |
Zitationshilfe: | Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/67>, abgerufen am 16.02.2025. |