Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.beiruderte und seinen Kahn in der Reihe der angebundenen Fahrzeuge ebenfalls befestigte. Sie antworteten weder auf meine deutschen noch wendischen Fragen nach den Hausbewohnern, sondern versteckten verlegen oder schalkhaft die Gesichter. Diese jetzt wortkarge und lautlose Gruppe gehörte zu der Koboldschaar, die neulich so laut im Wasser ihr Wesen getrieben hatte. Ich erkannte die kleine Nixe mit dem langen goldenen Haar und ihrem kleinen Brüderchen sogleich wieder. Von ihr erhielt ich endlich auch die Auskunft, daß der Vater auf dem Felde, die Mutter aber im Hause sei. Ich ging hinein. Die Hausfrau begrüßte mich freundlich, wies mich aber, da sie mit ihrem jüngsten Kinde beschäftigt war, in den Garten, wo ich ihre Schwester Marie finden sollte. -- Der Garten, etwas wild und sich selbst überlassen, wie dergleichen bäuerliche Anlagen zu sein pflegen, schloß sich unmittelbar an das Haus. Noch stand ich auf der Schwelle der Hinterthür, als ich schon ein Gespräch vernahm und Mariens und Victor's Stimmen erkannte. Noch mehr aber überraschte es mich, daß die Unterhaltung -- mich betraf. Ich gestehe, daß mich eine höchst unwürdige Regung überkam, nämlich die, zu lauschen. Zwar war ich mir bewußt, nicht recht zu thun, aber eine plötzlich erwachende Neugier bannte mich in meine gedeckte Stellung fest. Um die Thür herum zog sich eine mit Bohnen berankte Laube. Hier setzte ich mich auf eine Bank. Durch die Ranken hindurch sah ich das beiruderte und seinen Kahn in der Reihe der angebundenen Fahrzeuge ebenfalls befestigte. Sie antworteten weder auf meine deutschen noch wendischen Fragen nach den Hausbewohnern, sondern versteckten verlegen oder schalkhaft die Gesichter. Diese jetzt wortkarge und lautlose Gruppe gehörte zu der Koboldschaar, die neulich so laut im Wasser ihr Wesen getrieben hatte. Ich erkannte die kleine Nixe mit dem langen goldenen Haar und ihrem kleinen Brüderchen sogleich wieder. Von ihr erhielt ich endlich auch die Auskunft, daß der Vater auf dem Felde, die Mutter aber im Hause sei. Ich ging hinein. Die Hausfrau begrüßte mich freundlich, wies mich aber, da sie mit ihrem jüngsten Kinde beschäftigt war, in den Garten, wo ich ihre Schwester Marie finden sollte. — Der Garten, etwas wild und sich selbst überlassen, wie dergleichen bäuerliche Anlagen zu sein pflegen, schloß sich unmittelbar an das Haus. Noch stand ich auf der Schwelle der Hinterthür, als ich schon ein Gespräch vernahm und Mariens und Victor's Stimmen erkannte. Noch mehr aber überraschte es mich, daß die Unterhaltung — mich betraf. Ich gestehe, daß mich eine höchst unwürdige Regung überkam, nämlich die, zu lauschen. Zwar war ich mir bewußt, nicht recht zu thun, aber eine plötzlich erwachende Neugier bannte mich in meine gedeckte Stellung fest. Um die Thür herum zog sich eine mit Bohnen berankte Laube. Hier setzte ich mich auf eine Bank. Durch die Ranken hindurch sah ich das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0059"/> beiruderte und seinen Kahn in der Reihe der angebundenen Fahrzeuge ebenfalls befestigte. Sie antworteten weder auf meine deutschen noch wendischen Fragen nach den Hausbewohnern, sondern versteckten verlegen oder schalkhaft die Gesichter. Diese jetzt wortkarge und lautlose Gruppe gehörte zu der Koboldschaar, die neulich so laut im Wasser ihr Wesen getrieben hatte. Ich erkannte die kleine Nixe mit dem langen goldenen Haar und ihrem kleinen Brüderchen sogleich wieder. Von ihr erhielt ich endlich auch die Auskunft, daß der Vater auf dem Felde, die Mutter aber im Hause sei.</p><lb/> <p>Ich ging hinein. Die Hausfrau begrüßte mich freundlich, wies mich aber, da sie mit ihrem jüngsten Kinde beschäftigt war, in den Garten, wo ich ihre Schwester Marie finden sollte. — Der Garten, etwas wild und sich selbst überlassen, wie dergleichen bäuerliche Anlagen zu sein pflegen, schloß sich unmittelbar an das Haus. Noch stand ich auf der Schwelle der Hinterthür, als ich schon ein Gespräch vernahm und Mariens und Victor's Stimmen erkannte. Noch mehr aber überraschte es mich, daß die Unterhaltung — mich betraf. Ich gestehe, daß mich eine höchst unwürdige Regung überkam, nämlich die, zu lauschen. Zwar war ich mir bewußt, nicht recht zu thun, aber eine plötzlich erwachende Neugier bannte mich in meine gedeckte Stellung fest. Um die Thür herum zog sich eine mit Bohnen berankte Laube. Hier setzte ich mich auf eine Bank. Durch die Ranken hindurch sah ich das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
beiruderte und seinen Kahn in der Reihe der angebundenen Fahrzeuge ebenfalls befestigte. Sie antworteten weder auf meine deutschen noch wendischen Fragen nach den Hausbewohnern, sondern versteckten verlegen oder schalkhaft die Gesichter. Diese jetzt wortkarge und lautlose Gruppe gehörte zu der Koboldschaar, die neulich so laut im Wasser ihr Wesen getrieben hatte. Ich erkannte die kleine Nixe mit dem langen goldenen Haar und ihrem kleinen Brüderchen sogleich wieder. Von ihr erhielt ich endlich auch die Auskunft, daß der Vater auf dem Felde, die Mutter aber im Hause sei.
Ich ging hinein. Die Hausfrau begrüßte mich freundlich, wies mich aber, da sie mit ihrem jüngsten Kinde beschäftigt war, in den Garten, wo ich ihre Schwester Marie finden sollte. — Der Garten, etwas wild und sich selbst überlassen, wie dergleichen bäuerliche Anlagen zu sein pflegen, schloß sich unmittelbar an das Haus. Noch stand ich auf der Schwelle der Hinterthür, als ich schon ein Gespräch vernahm und Mariens und Victor's Stimmen erkannte. Noch mehr aber überraschte es mich, daß die Unterhaltung — mich betraf. Ich gestehe, daß mich eine höchst unwürdige Regung überkam, nämlich die, zu lauschen. Zwar war ich mir bewußt, nicht recht zu thun, aber eine plötzlich erwachende Neugier bannte mich in meine gedeckte Stellung fest. Um die Thür herum zog sich eine mit Bohnen berankte Laube. Hier setzte ich mich auf eine Bank. Durch die Ranken hindurch sah ich das
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Zitationshilfe: | Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/59>, abgerufen am 21.07.2024. |