Bedienungen oder als Richter oder auch als Räthe in den Rechts-Collegiis sich mit der Zeit wollen gebrauchen lassen, wissen, daß sie nach den Gesetzen sprechen, nicht aber über die Gese- tze raisoniren müssen, und also legen sie sich nur auf dasselbige Handwerck und wenden auff die Prudentiam legislatoriam wenig oder gar kei- ne Zeit. Diesemnach ist die Anzahl derjenigen Juristen, qui ultra leges Romanas sapiunt, gar geringe und kleine in der Welt. Zu dem so erfodert es auch, wenn man in der Rechts- Gelehrsamkeit etwas solides thun will, einige Mühe, und fast doppelte Arbeit; Denn erstlich muß man sich den Schlendrian der Römischen Gesetze hauptsächlich bekannt machen und kan man mit dem natürlichen Recht und der gesun- den Vernunfft, so lange als grosse Herren nicht mit den Rechts-Sachen einige Veränderung vornehmen, nicht fortkommen in den Aemtern, hernach aber ist es nicht gnug, wenn man einen vernünfftigen Juristen abgeben will, daß man den Jnnhalt der Römischen Landes-Gesetze in- nen hat und darnach sprechen kan und muß, son- dern man muß sie auch nach den Gründen des natürlichen Rechts wissen zu untersuchen, damit man per interpretationem extensivam & re- strictivam die Unbilligkeit einiger Gesetze zu moderiren, die Fehler bey Gelegenheit dem
Lan-
Bedienungen oder als Richter oder auch als Raͤthe in den Rechts-Collegiis ſich mit der Zeit wollen gebrauchen laſſen, wiſſen, daß ſie nach den Geſetzen ſprechen, nicht aber uͤber die Geſe- tze raiſoniren muͤſſen, und alſo legen ſie ſich nur auf daſſelbige Handwerck und wenden auff die Prudentiam legislatoriam wenig oder gar kei- ne Zeit. Dieſemnach iſt die Anzahl derjenigen Juriſten, qui ultra leges Romanas ſapiunt, gar geringe und kleine in der Welt. Zu dem ſo erfodert es auch, wenn man in der Rechts- Gelehrſamkeit etwas ſolides thun will, einige Muͤhe, und faſt doppelte Arbeit; Denn erſtlich muß man ſich den Schlendrian der Roͤmiſchen Geſetze hauptſaͤchlich bekannt machen und kan man mit dem natuͤrlichen Recht und der geſun- den Vernunfft, ſo lange als groſſe Herren nicht mit den Rechts-Sachen einige Veraͤnderung vornehmen, nicht fortkommen in den Aemtern, hernach aber iſt es nicht gnug, wenn man einen vernuͤnfftigen Juriſten abgeben will, daß man den Jnnhalt der Roͤmiſchen Landes-Geſetze in- nen hat und darnach ſprechen kan und muß, ſon- dern man muß ſie auch nach den Gruͤnden des natuͤrlichen Rechts wiſſen zu unterſuchen, damit man per interpretationem extenſivam & re- ſtrictivam die Unbilligkeit einiger Geſetze zu moderiren, die Fehler bey Gelegenheit dem
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Bedienungen oder als Richter oder auch als
Raͤthe in den Rechts-Collegiis ſich mit der Zeit
wollen gebrauchen laſſen, wiſſen, daß ſie nach
den Geſetzen ſprechen, nicht aber uͤber die Geſe-
tze raiſoniren muͤſſen, und alſo legen ſie ſich nur
auf daſſelbige Handwerck und wenden auff die
Prudentiam legislatoriam wenig oder gar kei-
ne Zeit. Dieſemnach iſt die Anzahl derjenigen
Juriſten, qui ultra leges Romanas ſapiunt,
gar geringe und kleine in der Welt. Zu dem
ſo erfodert es auch, wenn man in der Rechts-
Gelehrſamkeit etwas ſolides thun will, einige
Muͤhe, und faſt doppelte Arbeit; Denn erſtlich
muß man ſich den Schlendrian der Roͤmiſchen
Geſetze hauptſaͤchlich bekannt machen und kan
man mit dem natuͤrlichen Recht und der geſun-
den Vernunfft, ſo lange als groſſe Herren nicht
mit den Rechts-Sachen einige Veraͤnderung
vornehmen, nicht fortkommen in den Aemtern,
hernach aber iſt es nicht gnug, wenn man einen
vernuͤnfftigen Juriſten abgeben will, daß man
den Jnnhalt der Roͤmiſchen Landes-Geſetze in-
nen hat und darnach ſprechen kan und muß, ſon-
dern man muß ſie auch nach den Gruͤnden des
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/609>, abgerufen am 22.11.2024.
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