subjugirt den Willen, wenn er ausschweiffen will, so viel als möglich, und bedienet sich zu Er- reichung ihres Zwecks zuläßige Mittel. Jhre Absicht ist, daß es ihr und andern Menschen wohl gehe; Jedoch erkennet sie bey einer Col- lision zwischen ihrem und ihres Nechsten Glück, daß ihr der Vorzug gebühre. Sie siehet aus eigener und frembder Erfahrung, daß alle zeit- liche Glückseeligkeit, wie scheinbahr sie auch ist, dennoch mit vieler Unruhe vergesellschafftet, flüchtig und unbeständig sey, und ihren Besi- tzern, wenn sie vermeynen, sie halten dieselbe am vestesten, gantz unvermuthet aus den Händen gehe. Da sie nun vor eine Thorheit hält ein solch Glück, dessen Daurung und Genuß sie sich nicht einmahl auf eine eintzige Stunde recht vollkommen gewiß versichern kan, sondern alle Minuten darbey in Gefahr stehen muß, daß sie entweder der Glückseeligkeit, oder die Glückseeligkeit ihr entzogen werde, so erwehlet sie zu der Haupt-Absicht ihrer Handlungen, ei- ne solche, die höchst-voll kommen ist, ihren Besi- tzern ein wahres Vergnügen versprechen kan, und kein Ende noch Auffhören hat, oder die e- wige Seeligkeit. Dieses ist die Axe, um wel- che sich alle ihre übrigen actiones hier in der Zeit herumdrehen, niemahls aber von derselben abweichen müssen. Diese ist das centrum,
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ſubjugirt den Willen, wenn er ausſchweiffen will, ſo viel als moͤglich, und bedienet ſich zu Er- reichung ihres Zwecks zulaͤßige Mittel. Jhre Abſicht iſt, daß es ihr und andern Menſchen wohl gehe; Jedoch erkennet ſie bey einer Col- liſion zwiſchen ihrem und ihres Nechſten Gluͤck, daß ihr der Vorzug gebuͤhre. Sie ſiehet aus eigener und frembder Erfahrung, daß alle zeit- liche Gluͤckſeeligkeit, wie ſcheinbahr ſie auch iſt, dennoch mit vieler Unruhe vergeſellſchafftet, fluͤchtig und unbeſtaͤndig ſey, und ihren Beſi- tzern, wenn ſie vermeynen, ſie halten dieſelbe am veſteſten, gantz unvermuthet aus den Haͤnden gehe. Da ſie nun vor eine Thorheit haͤlt ein ſolch Gluͤck, deſſen Daurung und Genuß ſie ſich nicht einmahl auf eine eintzige Stunde recht vollkommen gewiß verſichern kan, ſondern alle Minuten darbey in Gefahr ſtehen muß, daß ſie entweder der Gluͤckſeeligkeit, oder die Gluͤckſeeligkeit ihr entzogen werde, ſo erwehlet ſie zu der Haupt-Abſicht ihrer Handlungen, ei- ne ſolche, die hoͤchſt-voll kommen iſt, ihren Beſi- tzern ein wahres Vergnuͤgen verſprechen kan, und kein Ende noch Auffhoͤren hat, oder die e- wige Seeligkeit. Dieſes iſt die Axe, um wel- che ſich alle ihre uͤbrigen actiones hier in der Zeit herumdrehen, niemahls aber von derſelben abweichen muͤſſen. Dieſe iſt das centrum,
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ſubjugirt den Willen, wenn er ausſchweiffen
will, ſo viel als moͤglich, und bedienet ſich zu Er-
reichung ihres Zwecks zulaͤßige Mittel. Jhre
Abſicht iſt, daß es ihr und andern Menſchen
wohl gehe; Jedoch erkennet ſie bey einer Col-
liſion zwiſchen ihrem und ihres Nechſten Gluͤck,
daß ihr der Vorzug gebuͤhre. Sie ſiehet aus
eigener und frembder Erfahrung, daß alle zeit-
liche Gluͤckſeeligkeit, wie ſcheinbahr ſie auch iſt,
dennoch mit vieler Unruhe vergeſellſchafftet,
fluͤchtig und unbeſtaͤndig ſey, und ihren Beſi-
tzern, wenn ſie vermeynen, ſie halten dieſelbe am
veſteſten, gantz unvermuthet aus den Haͤnden
gehe. Da ſie nun vor eine Thorheit haͤlt
ein ſolch Gluͤck, deſſen Daurung und Genuß
ſie ſich nicht einmahl auf eine eintzige Stunde
recht vollkommen gewiß verſichern kan, ſondern
alle Minuten darbey in Gefahr ſtehen muß,
daß ſie entweder der Gluͤckſeeligkeit, oder die
Gluͤckſeeligkeit ihr entzogen werde, ſo erwehlet
ſie zu der Haupt-Abſicht ihrer Handlungen, ei-
ne ſolche, die hoͤchſt-voll kommen iſt, ihren Beſi-
tzern ein wahres Vergnuͤgen verſprechen kan,
und kein Ende noch Auffhoͤren hat, oder die e-
wige Seeligkeit. Dieſes iſt die Axe, um wel-
che ſich alle ihre uͤbrigen actiones hier in der
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abweichen muͤſſen. Dieſe iſt das centrum,
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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