sey, denn bey einer Ungewißheit und zweiffel- hafften Fall muß man lieber pariren. Sonst lehret zwar die gesunde Vernunfft, daß man bey einem zweiffelhafften Fall abstiniren und die Sache unterlassen soll, aber dieses hat nur Statt bey denjenigen Handlungen, die keine Nothwendigkeit in sich fassen, sondern eben so leicht unterlassen werden können. Aber bey denjenigen actionen, da man, vermöge der Un- terthänigkeit, verbunden ist, etwas zu thun, hat eine solche Wahl nicht Statt, sondern man muß Gehorsam leisten, biß man von der Unbil- ligkeit der Sache recht gewiß überzeugt ist. Die Meynung, daß man bey einem zweiffel- hafften Fall nicht pariren soll, kommt mit der Unterthanen Pflicht gar nicht überein, indem die Unterthanen sich gar leicht, um ihren Gehorsam zu verweigern, ein Dubium aussinnen könten.
§. 9. Uber dis ist auch dieses Gebot nicht zu appliciren, wenn nur auf Seiten des Befehlen- den eine Unbilligkeit verhanden, nicht aber auf Seiten des, der exequiret. Es ist nicht allezeit ein Fehler auf Seiten der Execution. Ein Fürst handelt unbillig, wenn er seinen Unterthanen all- zuschwere und unproportionirliche Gaben ab- fordert; die Unterthanen thun aber nicht unrecht, wenn sie solche bezahlen. Es sind auch die Unterthanen nach dem Willen ihres Souverainen verbunden, andern Obrigkeiten Ge-
horsam
ſey, denn bey einer Ungewißheit und zweiffel- hafften Fall muß man lieber pariren. Sonſt lehret zwar die geſunde Vernunfft, daß man bey einem zweiffelhafften Fall abſtiniren und die Sache unterlaſſen ſoll, aber dieſes hat nur Statt bey denjenigen Handlungen, die keine Nothwendigkeit in ſich faſſen, ſondern eben ſo leicht unterlaſſen werden koͤnnen. Aber bey denjenigen actionen, da man, vermoͤge der Un- terthaͤnigkeit, verbunden iſt, etwas zu thun, hat eine ſolche Wahl nicht Statt, ſondern man muß Gehorſam leiſten, biß man von der Unbil- ligkeit der Sache recht gewiß uͤberzeugt iſt. Die Meynung, daß man bey einem zweiffel- hafften Fall nicht pariren ſoll, kommt mit der Unterthanen Pflicht gar nicht uͤberein, indem die Unterthanen ſich gar leicht, um ihren Gehorſam zu verweigern, ein Dubium ausſinnen koͤnten.
§. 9. Uber dis iſt auch dieſes Gebot nicht zu appliciren, wenn nur auf Seiten des Befehlen- den eine Unbilligkeit verhanden, nicht aber auf Seiten des, der exequiret. Es iſt nicht allezeit ein Fehler auf Seiten der Execution. Ein Fuͤrſt handelt unbillig, wenn er ſeinen Unterthanen all- zuſchwere und unproportionirliche Gaben ab- fordert; die Unterthanen thun aber nicht unrecht, wenn ſie ſolche bezahlen. Es ſind auch die Unterthanen nach dem Willen ihres Souverainen verbunden, andern Obrigkeiten Ge-
horſam
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ſey, denn bey einer Ungewißheit und zweiffel-
hafften Fall muß man lieber pariren. Sonſt
lehret zwar die geſunde Vernunfft, daß man bey
einem zweiffelhafften Fall abſtiniren und die
Sache unterlaſſen ſoll, aber dieſes hat nur
Statt bey denjenigen Handlungen, die keine
Nothwendigkeit in ſich faſſen, ſondern eben ſo
leicht unterlaſſen werden koͤnnen. Aber bey
denjenigen actionen, da man, vermoͤge der Un-
terthaͤnigkeit, verbunden iſt, etwas zu thun, hat
eine ſolche Wahl nicht Statt, ſondern man
muß Gehorſam leiſten, biß man von der Unbil-
ligkeit der Sache recht gewiß uͤberzeugt iſt.
Die Meynung, daß man bey einem zweiffel-
hafften Fall nicht pariren ſoll, kommt mit der
Unterthanen Pflicht gar nicht uͤberein, indem die
Unterthanen ſich gar leicht, um ihren Gehorſam
zu verweigern, ein Dubium ausſinnen koͤnten.
§. 9. Uber dis iſt auch dieſes Gebot nicht zu
appliciren, wenn nur auf Seiten des Befehlen-
den eine Unbilligkeit verhanden, nicht aber auf
Seiten des, der exequiret. Es iſt nicht allezeit
ein Fehler auf Seiten der Execution. Ein Fuͤrſt
handelt unbillig, wenn er ſeinen Unterthanen all-
zuſchwere und unproportionirliche Gaben ab-
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auch die Unterthanen nach dem Willen ihres
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 1370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/1390>, abgerufen am 23.11.2024.
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