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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin, 1729.

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IV. Theil. VI. Capitul.
stellung und in Schertz beschehene Bestraffung der
Laster, den Leuten offt weit mehr zu Hertzen gienge,
als eine vorgeschriebene Morale, oder der Usus epa-
northoticus
in der Leipziger Prediger Kunst. Die
schertzhaffte Morale fruchtete öffters weit mehr, als
die ernsthaffteste, und bahnte zu dieser nicht selten
den Weg, daß sie hernach besser eindringe, und auf-
genommen würde.

§. 28. Man muß bey den Opern und Comoe-
di
en, wie bey allen übrigen Sachen in der Welt,
den Gebrauch von den Mißbrauch wohl absondern.
Gleichwie die Menschen durch sehr viel Schau-
Spiele mehr verschlimmert als gebessert werden,
also kan man auch nicht alle ohne Unterschied ver-
werffen. Wenn sie wohl ausgearbeitet, so kan
man aus den Schau-Spielen auf eine geschwin-
dere Art, als sonst, erkennen lernen, wie es in dem
menschlichen Leben hergehe, und insonderheit was
vor Glück oder Unglück aus manchen Handlungen
zu entstehen pflege. Weil in dem Leben alles nach
und nach geschicht, auch öffters lange Zeit hingeht,
ehe das Unglück kommt, welches man sich durch
lasterhafftes Leben über den Halß ziehet, oder man
auch im Gegentheil das Glück erwartet, damit die
Tugend belohnet wird so erkennet man nicht, daß
dieser oder jener Zufall aus diesen oder jenen Hand-
lungen erfolget, oder auch aus unserm Vergnügen
das gegenwärtige Mißvergnügen erwachsen sey;
hingegen in Comoedien folgt alles, was zusammen
gehört, in einer kurtzen Reyhe auf einander, und der

Erfolg

IV. Theil. VI. Capitul.
ſtellung und in Schertz beſchehene Beſtraffung der
Laſter, den Leuten offt weit mehr zu Hertzen gienge,
als eine vorgeſchriebene Morale, oder der Uſus epa-
northoticus
in der Leipziger Prediger Kunſt. Die
ſchertzhaffte Morale fruchtete oͤffters weit mehr, als
die ernſthaffteſte, und bahnte zu dieſer nicht ſelten
den Weg, daß ſie hernach beſſer eindringe, und auf-
genommen wuͤrde.

§. 28. Man muß bey den Opern und Comœ-
di
en, wie bey allen uͤbrigen Sachen in der Welt,
den Gebrauch von den Mißbrauch wohl abſondern.
Gleichwie die Menſchen durch ſehr viel Schau-
Spiele mehr verſchlimmert als gebeſſert werden,
alſo kan man auch nicht alle ohne Unterſchied ver-
werffen. Wenn ſie wohl ausgearbeitet, ſo kan
man aus den Schau-Spielen auf eine geſchwin-
dere Art, als ſonſt, erkennen lernen, wie es in dem
menſchlichen Leben hergehe, und inſonderheit was
vor Gluͤck oder Ungluͤck aus manchen Handlungen
zu entſtehen pflege. Weil in dem Leben alles nach
und nach geſchicht, auch oͤffters lange Zeit hingeht,
ehe das Ungluͤck kommt, welches man ſich durch
laſterhafftes Leben uͤber den Halß ziehet, oder man
auch im Gegentheil das Gluͤck erwartet, damit die
Tugend belohnet wird ſo erkennet man nicht, daß
dieſer oder jener Zufall aus dieſen oder jenen Hand-
lungen erfolget, oder auch aus unſerm Vergnuͤgen
das gegenwaͤrtige Mißvergnuͤgen erwachſen ſey;
hingegen in Comœdien folgt alles, was zuſammen
gehoͤrt, in einer kurtzen Reyhe auf einander, und der

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[814/0838] IV. Theil. VI. Capitul. ſtellung und in Schertz beſchehene Beſtraffung der Laſter, den Leuten offt weit mehr zu Hertzen gienge, als eine vorgeſchriebene Morale, oder der Uſus epa- northoticus in der Leipziger Prediger Kunſt. Die ſchertzhaffte Morale fruchtete oͤffters weit mehr, als die ernſthaffteſte, und bahnte zu dieſer nicht ſelten den Weg, daß ſie hernach beſſer eindringe, und auf- genommen wuͤrde. §. 28. Man muß bey den Opern und Comœ- dien, wie bey allen uͤbrigen Sachen in der Welt, den Gebrauch von den Mißbrauch wohl abſondern. Gleichwie die Menſchen durch ſehr viel Schau- Spiele mehr verſchlimmert als gebeſſert werden, alſo kan man auch nicht alle ohne Unterſchied ver- werffen. Wenn ſie wohl ausgearbeitet, ſo kan man aus den Schau-Spielen auf eine geſchwin- dere Art, als ſonſt, erkennen lernen, wie es in dem menſchlichen Leben hergehe, und inſonderheit was vor Gluͤck oder Ungluͤck aus manchen Handlungen zu entſtehen pflege. Weil in dem Leben alles nach und nach geſchicht, auch oͤffters lange Zeit hingeht, ehe das Ungluͤck kommt, welches man ſich durch laſterhafftes Leben uͤber den Halß ziehet, oder man auch im Gegentheil das Gluͤck erwartet, damit die Tugend belohnet wird ſo erkennet man nicht, daß dieſer oder jener Zufall aus dieſen oder jenen Hand- lungen erfolget, oder auch aus unſerm Vergnuͤgen das gegenwaͤrtige Mißvergnuͤgen erwachſen ſey; hingegen in Comœdien folgt alles, was zuſammen gehoͤrt, in einer kurtzen Reyhe auf einander, und der Erfolg

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin, 1729, S. 814. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1729/838>, abgerufen am 22.11.2024.