§. 9. Ob schon alle Könige einander an Nah- men und Majestät gleich, so hat man doch vor die- sen einen vor dem andern den Vorzug ertheilen wollen, theils wegen der langwierigen und durch das allgemeine Völcker-Recht erlangten Possess, da manche nebst allen ihren Vorfahren auf allen geistlichen und weltlichen solennen Zusammen- künfften den andern vorgesetzt worden, theils wegen der Macht und Weitläufftigkeit der Königreiche und Länder, theils wegen der Souverainite, theils auch wegen des erblichen Rechts, so ihnen durch das Königliche Geblüte an der Ehre zustünde. Heutiges Tages aber wird mehrentheils allen ge- crönten Häuptern in gleichen Character, Ehre und Praerogativ zugeschrieben. Wo es sich nun heuti- ges Tages zuträgt, daß die Könige in Person und am dritten Ort zusammen kommen, so vergleichen sie sich gemeiniglich, daß sie die Ceremonielle bey Seite setzen, sonst würden sich viel Differentien er- heben, indem sie den Range nach einander gleich seyn wollen, und keiner dem andern nachgeben will.
§. 10. Wenn ein Europäischer König zu einem andern gecrönten Haupt kommt, und demselben in seinem Hause oder Hof-Lager besucht, so giebt der König so Wirth ist, dem andern als Gast (1) die erste Visite, (2) die rechte Hand in allen Zusam- menkünfften, (3) den Vortritt und pas d'honeur in den Cammern, Audienz-Gemächern und Zim- mern, bey der Tafel, in der Hof-Capell, bey dem
Gottes-
II. Theil. I. Capitul.
§. 9. Ob ſchon alle Koͤnige einander an Nah- men und Majeſtaͤt gleich, ſo hat man doch vor die- ſen einen vor dem andern den Vorzug ertheilen wollen, theils wegen der langwierigen und durch das allgemeine Voͤlcker-Recht erlangten Poſſeſs, da manche nebſt allen ihren Vorfahren auf allen geiſtlichen und weltlichen ſolennen Zuſammen- kuͤnfften den andern vorgeſetzt worden, theils wegen der Macht und Weitlaͤufftigkeit der Koͤnigreiche und Laͤnder, theils wegen der Souverainité, theils auch wegen des erblichen Rechts, ſo ihnen durch das Koͤnigliche Gebluͤte an der Ehre zuſtuͤnde. Heutiges Tages aber wird mehrentheils allen ge- croͤnten Haͤuptern in gleichen Character, Ehre und Prærogativ zugeſchrieben. Wo es ſich nun heuti- ges Tages zutraͤgt, daß die Koͤnige in Perſon und am dritten Ort zuſammen kommen, ſo vergleichen ſie ſich gemeiniglich, daß ſie die Ceremonielle bey Seite ſetzen, ſonſt wuͤrden ſich viel Differentien er- heben, indem ſie den Range nach einander gleich ſeyn wollen, und keiner dem andern nachgeben will.
§. 10. Wenn ein Europaͤiſcher Koͤnig zu einem andern gecroͤnten Haupt kommt, und demſelben in ſeinem Hauſe oder Hof-Lager beſucht, ſo giebt der Koͤnig ſo Wirth iſt, dem andern als Gaſt (1) die erſte Viſite, (2) die rechte Hand in allen Zuſam- menkuͤnfften, (3) den Vortritt und pas d’honeur in den Cammern, Audienz-Gemaͤchern und Zim- mern, bey der Tafel, in der Hof-Capell, bey dem
Gottes-
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II. Theil. I. Capitul.
§. 9. Ob ſchon alle Koͤnige einander an Nah-
men und Majeſtaͤt gleich, ſo hat man doch vor die-
ſen einen vor dem andern den Vorzug ertheilen
wollen, theils wegen der langwierigen und durch
das allgemeine Voͤlcker-Recht erlangten Poſſeſs,
da manche nebſt allen ihren Vorfahren auf allen
geiſtlichen und weltlichen ſolennen Zuſammen-
kuͤnfften den andern vorgeſetzt worden, theils wegen
der Macht und Weitlaͤufftigkeit der Koͤnigreiche
und Laͤnder, theils wegen der Souverainité, theils
auch wegen des erblichen Rechts, ſo ihnen durch
das Koͤnigliche Gebluͤte an der Ehre zuſtuͤnde.
Heutiges Tages aber wird mehrentheils allen ge-
croͤnten Haͤuptern in gleichen Character, Ehre und
Prærogativ zugeſchrieben. Wo es ſich nun heuti-
ges Tages zutraͤgt, daß die Koͤnige in Perſon und
am dritten Ort zuſammen kommen, ſo vergleichen
ſie ſich gemeiniglich, daß ſie die Ceremonielle bey
Seite ſetzen, ſonſt wuͤrden ſich viel Differentien er-
heben, indem ſie den Range nach einander gleich
ſeyn wollen, und keiner dem andern nachgeben
will.
§. 10. Wenn ein Europaͤiſcher Koͤnig zu einem
andern gecroͤnten Haupt kommt, und demſelben
in ſeinem Hauſe oder Hof-Lager beſucht, ſo giebt
der Koͤnig ſo Wirth iſt, dem andern als Gaſt (1)
die erſte Viſite, (2) die rechte Hand in allen Zuſam-
menkuͤnfften, (3) den Vortritt und pas d’honeur in
den Cammern, Audienz-Gemaͤchern und Zim-
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin, 1729, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1729/368>, abgerufen am 25.11.2024.
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