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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. III. Capitul.
mehr auf den Stand, als Verstand, mehr auf
Geld und äußerliches Ansehen, als auf löbliche
Handlungen zu sehen, ist die Titul-Sucht in allen
Ständen gewaltig gestiegen, und durch ihre Ver-
anlassung sind zugleich mancherley Laster eingefüh-
ret worden, insonderheit die Pracht, die Unmäßig-
keit in Essen und Trincken, und die Verschwendung.
Die höhern Titul erfordern größere Ausgabe, bey
der Kleidung, bey der Equipage, in Ansehung der
Wohnung, der Bedienten, u. s. w. Die Titul
haben zu- und hingegen das Geld hat abgenom-
men; Daher auch ein gewisser Autor nicht ohne
Grund auf folgende Art gereimet:

Da man schrieb dem Ehrbaren und Frommen,
Da war noch etwas in der Welt zu bekommen,
Da man schrieb dem Gestrengen und Vesten,
Da war auch noch etwas zum Besten,
Nun man aber schreibt dem Hoch-Wohl- und
Edelgebohrnen,
Jst Gut und Geld auf einmahl verlohren.

Hiebey entsinne mich, daß ein alter 80. jähriger
Bauer einstens wieder mich sagte, daß damahls
gute Zeit in der Welt gewesen, da die Gnädigen
Herren, Jhro Gestrengten, die Careten, Wägen,
und die Maitressen, Huren genennt worden.

§. 6. Der Grund der Titul-Sucht beruhet auf
einer falschen Einbildung, als ob die von höhern
Stande, grössern Range, oder ansehnlichern Prae-
dicat,
sich in einem höhern Grade der Glückseligkeit
befänden, denn die andern. Um deswillen wollen

die

I. Theil. III. Capitul.
mehr auf den Stand, als Verſtand, mehr auf
Geld und aͤußerliches Anſehen, als auf loͤbliche
Handlungen zu ſehen, iſt die Titul-Sucht in allen
Staͤnden gewaltig geſtiegen, und durch ihre Ver-
anlaſſung ſind zugleich mancherley Laſter eingefuͤh-
ret worden, inſonderheit die Pracht, die Unmaͤßig-
keit in Eſſen und Trincken, und die Verſchwendung.
Die hoͤhern Titul erfordern groͤßere Ausgabe, bey
der Kleidung, bey der Equipage, in Anſehung der
Wohnung, der Bedienten, u. ſ. w. Die Titul
haben zu- und hingegen das Geld hat abgenom-
men; Daher auch ein gewiſſer Autor nicht ohne
Grund auf folgende Art gereimet:

Da man ſchrieb dem Ehrbaren und Frommen,
Da war noch etwas in der Welt zu bekommen,
Da man ſchrieb dem Geſtrengen und Veſten,
Da war auch noch etwas zum Beſten,
Nun man aber ſchreibt dem Hoch-Wohl- und
Edelgebohrnen,
Jſt Gut und Geld auf einmahl verlohren.

Hiebey entſinne mich, daß ein alter 80. jaͤhriger
Bauer einſtens wieder mich ſagte, daß damahls
gute Zeit in der Welt geweſen, da die Gnaͤdigen
Herren, Jhro Geſtrengten, die Careten, Waͤgen,
und die Maitreſſen, Huren genennt worden.

§. 6. Der Grund der Titul-Sucht beruhet auf
einer falſchen Einbildung, als ob die von hoͤhern
Stande, groͤſſern Range, oder anſehnlichern Præ-
dicat,
ſich in einem hoͤhern Grade der Gluͤckſeligkeit
befaͤnden, denn die andern. Um deswillen wollen

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[58/0078] I. Theil. III. Capitul. mehr auf den Stand, als Verſtand, mehr auf Geld und aͤußerliches Anſehen, als auf loͤbliche Handlungen zu ſehen, iſt die Titul-Sucht in allen Staͤnden gewaltig geſtiegen, und durch ihre Ver- anlaſſung ſind zugleich mancherley Laſter eingefuͤh- ret worden, inſonderheit die Pracht, die Unmaͤßig- keit in Eſſen und Trincken, und die Verſchwendung. Die hoͤhern Titul erfordern groͤßere Ausgabe, bey der Kleidung, bey der Equipage, in Anſehung der Wohnung, der Bedienten, u. ſ. w. Die Titul haben zu- und hingegen das Geld hat abgenom- men; Daher auch ein gewiſſer Autor nicht ohne Grund auf folgende Art gereimet: Da man ſchrieb dem Ehrbaren und Frommen, Da war noch etwas in der Welt zu bekommen, Da man ſchrieb dem Geſtrengen und Veſten, Da war auch noch etwas zum Beſten, Nun man aber ſchreibt dem Hoch-Wohl- und Edelgebohrnen, Jſt Gut und Geld auf einmahl verlohren. Hiebey entſinne mich, daß ein alter 80. jaͤhriger Bauer einſtens wieder mich ſagte, daß damahls gute Zeit in der Welt geweſen, da die Gnaͤdigen Herren, Jhro Geſtrengten, die Careten, Waͤgen, und die Maitreſſen, Huren genennt worden. §. 6. Der Grund der Titul-Sucht beruhet auf einer falſchen Einbildung, als ob die von hoͤhern Stande, groͤſſern Range, oder anſehnlichern Præ- dicat, ſich in einem hoͤhern Grade der Gluͤckſeligkeit befaͤnden, denn die andern. Um deswillen wollen die

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/78>, abgerufen am 23.11.2024.