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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. II. Capitul.
Großälter-Vater und Großälter-Mutter gewohnt,
eine andere Gestalt geben sollen, als es ehedem ge-
habt. Bey ihren Meublen und Haußgeräthe schaf-
fen sie sehr ungerne etwas neues an, sondern behelf-
fen sich mit dem, was sie von ihren Eltern und
Groß-Eltern bekommen, so gut als sie können, und
wenn ja etwas davon abgehen solte, muß es nicht
nach der neuen Mode, ob sie schon in viel Stücken
besser wäre, sondern nach der alten eingerichtet
seyn.

§. 19. Ein vernünfftiger Mensch muß sich be-
mühen, hiebey so wohl als in andern Stücken, die
Mittel-Strasse treffen zu lernen. Er ist zwar alle
Tage bemühet, zu seiner eigenen und seines Näch-
sten wahrer Glückseligkeit, etwas neuers und bessers
auszusinnen, oder zu erfahren, im geringsten aber
nicht begierig, solche Moden zu inventiren, oder zu
erlernen, dadurch bloß die Eitelkeit der menschlichen
Gemüther gestärcket wird. Er achtet dieses vor
eine Leichtsinnigkeit, und die Zeit ist ihm viel zu kost-
bar, als daß er sie mit dergleichen verderben solte.
Er weiß wohl, daß die Welt an Boßheit mehr zu,
als abnimmt, und daher die Anzahl der lasterhaff-
ten Moden von Tage zu Tage grösser wird.

§. 20. Bey Nachahmung der Moden beurthei-
let er erstlich die Mode selbsten, nachgehends seine
eigenen Umstände, darinnen er sich befindet, und den
besondern Zweck, den er sich in seinem Leben vorge-
setzt, und durch seine Handlungen, so viel als mög-
lich, zu erreichen gedenckt. Bey der Mode erweget

er,

I. Theil. II. Capitul.
Großaͤlter-Vater und Großaͤlter-Mutter gewohnt,
eine andere Geſtalt geben ſollen, als es ehedem ge-
habt. Bey ihren Meublen und Haußgeraͤthe ſchaf-
fen ſie ſehr ungerne etwas neues an, ſondern behelf-
fen ſich mit dem, was ſie von ihren Eltern und
Groß-Eltern bekommen, ſo gut als ſie koͤnnen, und
wenn ja etwas davon abgehen ſolte, muß es nicht
nach der neuen Mode, ob ſie ſchon in viel Stuͤcken
beſſer waͤre, ſondern nach der alten eingerichtet
ſeyn.

§. 19. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß ſich be-
muͤhen, hiebey ſo wohl als in andern Stuͤcken, die
Mittel-Straſſe treffen zu lernen. Er iſt zwar alle
Tage bemuͤhet, zu ſeiner eigenen und ſeines Naͤch-
ſten wahrer Gluͤckſeligkeit, etwas neuers und beſſers
auszuſinnen, oder zu erfahren, im geringſten aber
nicht begierig, ſolche Moden zu inventiren, oder zu
erlernen, dadurch bloß die Eitelkeit der menſchlichen
Gemuͤther geſtaͤrcket wird. Er achtet dieſes vor
eine Leichtſinnigkeit, und die Zeit iſt ihm viel zu koſt-
bar, als daß er ſie mit dergleichen verderben ſolte.
Er weiß wohl, daß die Welt an Boßheit mehr zu,
als abnimmt, und daher die Anzahl der laſterhaff-
ten Moden von Tage zu Tage groͤſſer wird.

§. 20. Bey Nachahmung der Moden beurthei-
let er erſtlich die Mode ſelbſten, nachgehends ſeine
eigenen Umſtaͤnde, darinnen er ſich befindet, und den
beſondern Zweck, den er ſich in ſeinem Leben vorge-
ſetzt, und durch ſeine Handlungen, ſo viel als moͤg-
lich, zu erreichen gedenckt. Bey der Mode erweget

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[50/0070] I. Theil. II. Capitul. Großaͤlter-Vater und Großaͤlter-Mutter gewohnt, eine andere Geſtalt geben ſollen, als es ehedem ge- habt. Bey ihren Meublen und Haußgeraͤthe ſchaf- fen ſie ſehr ungerne etwas neues an, ſondern behelf- fen ſich mit dem, was ſie von ihren Eltern und Groß-Eltern bekommen, ſo gut als ſie koͤnnen, und wenn ja etwas davon abgehen ſolte, muß es nicht nach der neuen Mode, ob ſie ſchon in viel Stuͤcken beſſer waͤre, ſondern nach der alten eingerichtet ſeyn. §. 19. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß ſich be- muͤhen, hiebey ſo wohl als in andern Stuͤcken, die Mittel-Straſſe treffen zu lernen. Er iſt zwar alle Tage bemuͤhet, zu ſeiner eigenen und ſeines Naͤch- ſten wahrer Gluͤckſeligkeit, etwas neuers und beſſers auszuſinnen, oder zu erfahren, im geringſten aber nicht begierig, ſolche Moden zu inventiren, oder zu erlernen, dadurch bloß die Eitelkeit der menſchlichen Gemuͤther geſtaͤrcket wird. Er achtet dieſes vor eine Leichtſinnigkeit, und die Zeit iſt ihm viel zu koſt- bar, als daß er ſie mit dergleichen verderben ſolte. Er weiß wohl, daß die Welt an Boßheit mehr zu, als abnimmt, und daher die Anzahl der laſterhaff- ten Moden von Tage zu Tage groͤſſer wird. §. 20. Bey Nachahmung der Moden beurthei- let er erſtlich die Mode ſelbſten, nachgehends ſeine eigenen Umſtaͤnde, darinnen er ſich befindet, und den beſondern Zweck, den er ſich in ſeinem Leben vorge- ſetzt, und durch ſeine Handlungen, ſo viel als moͤg- lich, zu erreichen gedenckt. Bey der Mode erweget er,

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/70>, abgerufen am 23.11.2024.