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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Vom Sterben.
Was hilfft es, seine Ungedult in einem Schiffe se-
hen zu lassen, wo der Wind die Seegel ausspannt,
oder sich auch wider den Steuermann zu empören,
welcher doch mit dem Steuer-Ruder zugleich un-
ser Leben in seinen Händen hat. Man muß sich
vielmehr unter die Vernunfft, als Nothwendigkeit,
gefangen geben, wofern unser Gehorsam ersprieß-
lich seyn soll. Ein Kluger kommt dem unvermeid-
lichen Zwange des Verhängnisses durch zeitliche
Unterweisung zuvor.

§. 5. Nicht weniger ist es einigen sonst Welt-
klugen und gar wohl unterrichteten Leuten gar sehr
unanständig, wenn sie vor den Leichen einige Furcht
bezeigen, und sich entweder den Zimmern und Ge-
mächern, wo eine Leiche verwahrlich biß zum Be-
gräbniß aufbehalten wird, zumahl zur Nacht-Zeit,
nicht gerne nähern, oder in den Zimmern, in denen
vor kurtzer Zeit eine Leiche gestanden, oder in denen
eine Person verstorben, nicht alleine schlaffen wol-
len. Doch sie bezeugen durch dergleichen unnöthi-
ge Furcht eine schlechte Erkenntniß in ihrem Chri-
stenthum, und machen sich bey vernünfftigen Leuten
lächerlich. Sie solten bedencken, daß ihnen Sa-
tan ohne dem Willen des himmlischen Vaters nicht
ein Härlein krümmen könte, und wenn es ihm er-
laubet wäre, so würde er nicht allein zu der Zeit ein-
spücken und poltern, oder sonst ein Unheil anrichten,
wo eine gottlose Leiche verstorben, sondern auch zu
allen Zeiten. Die Seelen der Gerechten sind ja
von nun an in der Hand GOttes, und diese verlan-

gen

Vom Sterben.
Was hilfft es, ſeine Ungedult in einem Schiffe ſe-
hen zu laſſen, wo der Wind die Seegel ausſpannt,
oder ſich auch wider den Steuermann zu empoͤren,
welcher doch mit dem Steuer-Ruder zugleich un-
ſer Leben in ſeinen Haͤnden hat. Man muß ſich
vielmehr unter die Vernunfft, als Nothwendigkeit,
gefangen geben, wofern unſer Gehorſam erſprieß-
lich ſeyn ſoll. Ein Kluger kommt dem unvermeid-
lichen Zwange des Verhaͤngniſſes durch zeitliche
Unterweiſung zuvor.

§. 5. Nicht weniger iſt es einigen ſonſt Welt-
klugen und gar wohl unterrichteten Leuten gar ſehr
unanſtaͤndig, wenn ſie vor den Leichen einige Furcht
bezeigen, und ſich entweder den Zimmern und Ge-
maͤchern, wo eine Leiche verwahrlich biß zum Be-
graͤbniß aufbehalten wird, zumahl zur Nacht-Zeit,
nicht gerne naͤhern, oder in den Zimmern, in denen
vor kurtzer Zeit eine Leiche geſtanden, oder in denen
eine Perſon verſtorben, nicht alleine ſchlaffen wol-
len. Doch ſie bezeugen durch dergleichen unnoͤthi-
ge Furcht eine ſchlechte Erkenntniß in ihrem Chri-
ſtenthum, und machen ſich bey vernuͤnfftigen Leuten
laͤcherlich. Sie ſolten bedencken, daß ihnen Sa-
tan ohne dem Willen des himmliſchen Vaters nicht
ein Haͤrlein kruͤmmen koͤnte, und wenn es ihm er-
laubet waͤre, ſo wuͤrde er nicht allein zu der Zeit ein-
ſpuͤcken und poltern, oder ſonſt ein Unheil anrichten,
wo eine gottloſe Leiche verſtorben, ſondern auch zu
allen Zeiten. Die Seelen der Gerechten ſind ja
von nun an in der Hand GOttes, und dieſe verlan-

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[651/0671] Vom Sterben. Was hilfft es, ſeine Ungedult in einem Schiffe ſe- hen zu laſſen, wo der Wind die Seegel ausſpannt, oder ſich auch wider den Steuermann zu empoͤren, welcher doch mit dem Steuer-Ruder zugleich un- ſer Leben in ſeinen Haͤnden hat. Man muß ſich vielmehr unter die Vernunfft, als Nothwendigkeit, gefangen geben, wofern unſer Gehorſam erſprieß- lich ſeyn ſoll. Ein Kluger kommt dem unvermeid- lichen Zwange des Verhaͤngniſſes durch zeitliche Unterweiſung zuvor. §. 5. Nicht weniger iſt es einigen ſonſt Welt- klugen und gar wohl unterrichteten Leuten gar ſehr unanſtaͤndig, wenn ſie vor den Leichen einige Furcht bezeigen, und ſich entweder den Zimmern und Ge- maͤchern, wo eine Leiche verwahrlich biß zum Be- graͤbniß aufbehalten wird, zumahl zur Nacht-Zeit, nicht gerne naͤhern, oder in den Zimmern, in denen vor kurtzer Zeit eine Leiche geſtanden, oder in denen eine Perſon verſtorben, nicht alleine ſchlaffen wol- len. Doch ſie bezeugen durch dergleichen unnoͤthi- ge Furcht eine ſchlechte Erkenntniß in ihrem Chri- ſtenthum, und machen ſich bey vernuͤnfftigen Leuten laͤcherlich. Sie ſolten bedencken, daß ihnen Sa- tan ohne dem Willen des himmliſchen Vaters nicht ein Haͤrlein kruͤmmen koͤnte, und wenn es ihm er- laubet waͤre, ſo wuͤrde er nicht allein zu der Zeit ein- ſpuͤcken und poltern, oder ſonſt ein Unheil anrichten, wo eine gottloſe Leiche verſtorben, ſondern auch zu allen Zeiten. Die Seelen der Gerechten ſind ja von nun an in der Hand GOttes, und dieſe verlan- gen

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/671>, abgerufen am 22.11.2024.