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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von Kindtauffen.
ob die Tauffe geschehen sey, und welcher vielleicht
die Zeit seines Lebens nicht wieder an seine unbe-
kandte Pathe gedenckt; Und erwehlet man gleich
andere, was hilfft denn dieses? so heist es so viel:
Diese müssen Zeuge seyn, daß jene Zeuge gewesen.
Warum bittet man denn nicht lieber die Zeugen der
Zeugen recht zu Gevattern, so sähen doch znm wenig-
sten dieselben mit ihren Augen, daß das Kind ge-
taufft worden; da hingegen die andern nur testes
de auditu,
oder Zeugen von hören-sagen seyn
müssen.

§. 10. Unter die Mißbräuche gehöret ferner, wenn
an manchen Orten diejenigen, die sich mehr düncken
als andere, die Gevattern nach dem Range inviti-
ren, wie sie die Marschälle, oder die Leichen-Bitter
bey denen Trauer-Processionen ablesen. Sie fan-
gen so wohl bey den Personen, männlichen als weib-
lichen Geschlechts, von dem Obersten an, und stei-
gen, nach der Anzahl ihrer Kinder, zu denen sie die-
se Tauff-Zeugen benöthiget, immer weiter herunter.
So muß die göttliche Ordnung ihrem eingebildeten
Wohlstande und Ceremoniel weichen. Nach
dieser Methode wird vollends die Betrachtung der
Würdigkeit aus den Augen gesetzt. Alle Atheisten,
offenbahre Gotteslästerer, Verächter der heiligen
Sacramenta, Hurer und Ehebrecher, werden mit
denen Gottesfürchtigen und Tugendhafften in eine
Classe geschmissen. Die erwehlten Gevattern kön-
nen bey dieser Weise die Einladung vor keine Wür-
ckung eines Wohlwollens, oder eines gegen sie he-

genden
R r 3

Von Kindtauffen.
ob die Tauffe geſchehen ſey, und welcher vielleicht
die Zeit ſeines Lebens nicht wieder an ſeine unbe-
kandte Pathe gedenckt; Und erwehlet man gleich
andere, was hilfft denn dieſes? ſo heiſt es ſo viel:
Dieſe muͤſſen Zeuge ſeyn, daß jene Zeuge geweſen.
Warum bittet man denn nicht lieber die Zeugen der
Zeugen recht zu Gevattern, ſo ſaͤhen doch znm wenig-
ſten dieſelben mit ihren Augen, daß das Kind ge-
taufft worden; da hingegen die andern nur teſtes
de auditu,
oder Zeugen von hoͤren-ſagen ſeyn
muͤſſen.

§. 10. Unter die Mißbraͤuche gehoͤret ferner, wenn
an manchen Orten diejenigen, die ſich mehr duͤncken
als andere, die Gevattern nach dem Range inviti-
ren, wie ſie die Marſchaͤlle, oder die Leichen-Bitter
bey denen Trauer-Proceſſionen ableſen. Sie fan-
gen ſo wohl bey den Perſonen, maͤnnlichen als weib-
lichen Geſchlechts, von dem Oberſten an, und ſtei-
gen, nach der Anzahl ihrer Kinder, zu denen ſie die-
ſe Tauff-Zeugen benoͤthiget, immer weiter herunter.
So muß die goͤttliche Ordnung ihrem eingebildeten
Wohlſtande und Ceremoniel weichen. Nach
dieſer Methode wird vollends die Betrachtung der
Wuͤrdigkeit aus den Augen geſetzt. Alle Atheiſten,
offenbahre Gotteslaͤſterer, Veraͤchter der heiligen
Sacramenta, Hurer und Ehebrecher, werden mit
denen Gottesfuͤrchtigen und Tugendhafften in eine
Claſſe geſchmiſſen. Die erwehlten Gevattern koͤn-
nen bey dieſer Weiſe die Einladung vor keine Wuͤr-
ckung eines Wohlwollens, oder eines gegen ſie he-

genden
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[629/0649] Von Kindtauffen. ob die Tauffe geſchehen ſey, und welcher vielleicht die Zeit ſeines Lebens nicht wieder an ſeine unbe- kandte Pathe gedenckt; Und erwehlet man gleich andere, was hilfft denn dieſes? ſo heiſt es ſo viel: Dieſe muͤſſen Zeuge ſeyn, daß jene Zeuge geweſen. Warum bittet man denn nicht lieber die Zeugen der Zeugen recht zu Gevattern, ſo ſaͤhen doch znm wenig- ſten dieſelben mit ihren Augen, daß das Kind ge- taufft worden; da hingegen die andern nur teſtes de auditu, oder Zeugen von hoͤren-ſagen ſeyn muͤſſen. §. 10. Unter die Mißbraͤuche gehoͤret ferner, wenn an manchen Orten diejenigen, die ſich mehr duͤncken als andere, die Gevattern nach dem Range inviti- ren, wie ſie die Marſchaͤlle, oder die Leichen-Bitter bey denen Trauer-Proceſſionen ableſen. Sie fan- gen ſo wohl bey den Perſonen, maͤnnlichen als weib- lichen Geſchlechts, von dem Oberſten an, und ſtei- gen, nach der Anzahl ihrer Kinder, zu denen ſie die- ſe Tauff-Zeugen benoͤthiget, immer weiter herunter. So muß die goͤttliche Ordnung ihrem eingebildeten Wohlſtande und Ceremoniel weichen. Nach dieſer Methode wird vollends die Betrachtung der Wuͤrdigkeit aus den Augen geſetzt. Alle Atheiſten, offenbahre Gotteslaͤſterer, Veraͤchter der heiligen Sacramenta, Hurer und Ehebrecher, werden mit denen Gottesfuͤrchtigen und Tugendhafften in eine Claſſe geſchmiſſen. Die erwehlten Gevattern koͤn- nen bey dieſer Weiſe die Einladung vor keine Wuͤr- ckung eines Wohlwollens, oder eines gegen ſie he- genden R r 3

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/649>, abgerufen am 22.11.2024.