sind die Höfe, als die beste hohe Schule, auf wel- cher die Politesse und die Regeln des Wohlstandes gelehret werden, anzusehen. Denn hier hat man eine Menge qualificirter Leute um sich herum, wel- che sich bemühen, um ihrer Herrschafft zu gefallen, und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles mit einer bonne grace zu verrichten, und das äus- serliche Wesen der andern, und insonderheit der fremden, die nach Hofe kommen, mit scharfsüchti- gen Augen anzusehen.
§. 30. Die Tugend der Höflichkeit und des ma- nierlichen Wesens hat ebenfalls wie die übrigen ihre beyden lasterhafften Abwege, vor denen man sich in acht zu nehmen hat. Bekümmert man sich gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlstan- des, so wird man darüber zu einen tölpischen plum- pen Menschen, zu einen Schulfuchs, und zu einen Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Höf- lichkeit und alle Complimens verachten und ver- dammen. Jst man aber hierinnen allzu scrupu- lös und allzu ceremonieus, da man mit andern Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man von andern dergleichen wieder verlangt, und alles mit der allergrösten und gezwungenen Erbarkeit verrichten will, so giebt man den Schein eines ehr- geitzigen Temperaments von sich, man verfällt in ein affectirtes Wesen, und durch eine allzu mühsa- me Beobachtung des Wohlstandes fehlet man wi- der den Wohlstand. Nach der CLXXXIV. Maxi- me des Oraculs von Graciam, und derer von Herr
D. Mül-
I. Theil. I. Capitul.
ſind die Hoͤfe, als die beſte hohe Schule, auf wel- cher die Politeſſe und die Regeln des Wohlſtandes gelehret werden, anzuſehen. Denn hier hat man eine Menge qualificirter Leute um ſich herum, wel- che ſich bemuͤhen, um ihrer Herrſchafft zu gefallen, und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles mit einer bonne grace zu verrichten, und das aͤuſ- ſerliche Weſen der andern, und inſonderheit der fremden, die nach Hofe kommen, mit ſcharfſuͤchti- gen Augen anzuſehen.
§. 30. Die Tugend der Hoͤflichkeit und des ma- nierlichen Weſens hat ebenfalls wie die uͤbrigen ihre beyden laſterhafften Abwege, vor denen man ſich in acht zu nehmen hat. Bekuͤmmert man ſich gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlſtan- des, ſo wird man daruͤber zu einen toͤlpiſchen plum- pen Menſchen, zu einen Schulfuchs, und zu einen Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Hoͤf- lichkeit und alle Complimens verachten und ver- dammen. Jſt man aber hierinnen allzu ſcrupu- lös und allzu ceremonieus, da man mit andern Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man von andern dergleichen wieder verlangt, und alles mit der allergroͤſten und gezwungenen Erbarkeit verrichten will, ſo giebt man den Schein eines ehr- geitzigen Temperaments von ſich, man verfaͤllt in ein affectirtes Weſen, und durch eine allzu muͤhſa- me Beobachtung des Wohlſtandes fehlet man wi- der den Wohlſtand. Nach der CLXXXIV. Maxi- me des Oraculs von Graciam, und derer von Herr
D. Muͤl-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0046"n="26"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Theil. <hirendition="#aq">I.</hi> Capitul.</hi></fw><lb/>ſind die Hoͤfe, als die beſte hohe Schule, auf wel-<lb/>
cher die <hirendition="#aq">Politeſſe</hi> und die Regeln des Wohlſtandes<lb/>
gelehret werden, anzuſehen. Denn hier hat man<lb/>
eine Menge <hirendition="#aq">qualifici</hi>rter Leute um ſich herum, wel-<lb/>
che ſich bemuͤhen, um ihrer Herrſchafft zu gefallen,<lb/>
und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles<lb/>
mit einer <hirendition="#aq">bonne grace</hi> zu verrichten, und das aͤuſ-<lb/>ſerliche Weſen der andern, und inſonderheit der<lb/>
fremden, die nach Hofe kommen, mit ſcharfſuͤchti-<lb/>
gen Augen anzuſehen.</p><lb/><p>§. 30. Die Tugend der Hoͤflichkeit und des ma-<lb/>
nierlichen Weſens hat ebenfalls wie die uͤbrigen<lb/>
ihre beyden laſterhafften Abwege, vor denen man<lb/>ſich in acht zu nehmen hat. Bekuͤmmert man ſich<lb/>
gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlſtan-<lb/>
des, ſo wird man daruͤber zu einen toͤlpiſchen plum-<lb/>
pen Menſchen, zu einen Schulfuchs, und zu einen<lb/>
Quacker, die nach den Regeln ihrer <hirendition="#aq">Secte</hi> alle Hoͤf-<lb/>
lichkeit und alle <hirendition="#aq">Complimens</hi> verachten und ver-<lb/>
dammen. Jſt man aber hierinnen allzu <hirendition="#aq">ſcrupu-<lb/>
lös</hi> und allzu <hirendition="#aq">ceremonieus,</hi> da man mit andern<lb/>
Leuten zu viel <hirendition="#aq">Ceremoni</hi>en vornimmt, weil man<lb/>
von andern dergleichen wieder verlangt, und alles<lb/>
mit der allergroͤſten und gezwungenen Erbarkeit<lb/>
verrichten will, ſo giebt man den Schein eines ehr-<lb/>
geitzigen <hirendition="#aq">Temperaments</hi> von ſich, man verfaͤllt in<lb/>
ein <hirendition="#aq">affecti</hi>rtes Weſen, und durch eine allzu muͤhſa-<lb/>
me Beobachtung des Wohlſtandes fehlet man wi-<lb/>
der den Wohlſtand. Nach der <hirendition="#aq">CLXXXIV. Maxi-<lb/>
me</hi> des <hirendition="#aq">Oraculs</hi> von <hirendition="#aq">Graciam,</hi> und derer von Herr<lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">D.</hi> Muͤl-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[26/0046]
I. Theil. I. Capitul.
ſind die Hoͤfe, als die beſte hohe Schule, auf wel-
cher die Politeſſe und die Regeln des Wohlſtandes
gelehret werden, anzuſehen. Denn hier hat man
eine Menge qualificirter Leute um ſich herum, wel-
che ſich bemuͤhen, um ihrer Herrſchafft zu gefallen,
und bey andern Leuten Ruhm zu erlangen, alles
mit einer bonne grace zu verrichten, und das aͤuſ-
ſerliche Weſen der andern, und inſonderheit der
fremden, die nach Hofe kommen, mit ſcharfſuͤchti-
gen Augen anzuſehen.
§. 30. Die Tugend der Hoͤflichkeit und des ma-
nierlichen Weſens hat ebenfalls wie die uͤbrigen
ihre beyden laſterhafften Abwege, vor denen man
ſich in acht zu nehmen hat. Bekuͤmmert man ſich
gantz und gar nicht um die Regeln des Wohlſtan-
des, ſo wird man daruͤber zu einen toͤlpiſchen plum-
pen Menſchen, zu einen Schulfuchs, und zu einen
Quacker, die nach den Regeln ihrer Secte alle Hoͤf-
lichkeit und alle Complimens verachten und ver-
dammen. Jſt man aber hierinnen allzu ſcrupu-
lös und allzu ceremonieus, da man mit andern
Leuten zu viel Ceremonien vornimmt, weil man
von andern dergleichen wieder verlangt, und alles
mit der allergroͤſten und gezwungenen Erbarkeit
verrichten will, ſo giebt man den Schein eines ehr-
geitzigen Temperaments von ſich, man verfaͤllt in
ein affectirtes Weſen, und durch eine allzu muͤhſa-
me Beobachtung des Wohlſtandes fehlet man wi-
der den Wohlſtand. Nach der CLXXXIV. Maxi-
me des Oraculs von Graciam, und derer von Herr
D. Muͤl-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/46>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.