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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. IX. Capitul.
selbst die Mahlzeiten, die man ausrichtet, auch
selten ohne Sünde geschehen. Es ist nichts
bürgerlicher und ehrlicher, als die Einladung,
und der Anfang, den man hierbey hält. Nüch-
ternheit und Mäßigkeit schien anfangs die
rechte Regel zu seyn, aber den Augenblick,
nachdem die ersten Begierden des Appetits
gestillet sind, sucht man seine zärtliche Nied-
lichkeit zu vergnügen/ man nöthiget einander
zum Trincken durch die unnützer weise wieder-
hohlten Gesundheiten, und man trägt zu En-
de der Mahlzeit fremde Geträncke und Weine
auf, dessen Farbe die Schamhafftigkeit des
Geschlechts so gar sehr verletzt, daß einige
Weiber gar kein Bedencken tragen, übermäs-
sig davon zu trincken.

§. 15. Bevor man sich in das Gastiren einläst,
muß man einen Uberschlag machen mit seinen Ein-
künfften, und wohl überlegen, ob man auch so viel
im Vermögen habe, daß, nach Abzug der nöthigen
Ausgaben, vor die Gastereyen etwas übrig bleibe,
und ob man im Stande sey, die Gastgebothe nicht
allein in diesem Jahr auszurichten, sondern auch in
dem künfftigen. Ein vernünfftiger Mensch muß
seine Handlungen allezeit so anstellen, daß er der
größten Vollkommenheit theilhafftig werden möge.
Die Regeln des Wohlstandes müssen den Regeln
der Nothwendigkeit weichen.

§. 16. Je weniger Staats- und Ceremoniel-
Gastgebothe man anstellen kan, je besser ists, sinte-

mahl

II. Theil. IX. Capitul.
ſelbſt die Mahlzeiten, die man ausrichtet, auch
ſelten ohne Suͤnde geſchehen. Es iſt nichts
buͤrgerlicher und ehrlicher, als die Einladung,
und der Anfang, den man hierbey haͤlt. Nuͤch-
ternheit und Maͤßigkeit ſchien anfangs die
rechte Regel zu ſeyn, aber den Augenblick,
nachdem die erſten Begierden des Appetits
geſtillet ſind, ſucht man ſeine zaͤrtliche Nied-
lichkeit zu vergnuͤgen/ man noͤthiget einander
zum Trincken durch die unnuͤtzer weiſe wieder-
hohlten Geſundheiten, und man traͤgt zu En-
de der Mahlzeit fremde Getraͤncke und Weine
auf, deſſen Farbe die Schamhafftigkeit des
Geſchlechts ſo gar ſehr verletzt, daß einige
Weiber gar kein Bedencken tragen, uͤbermaͤſ-
ſig davon zu trincken.

§. 15. Bevor man ſich in das Gaſtiren einlaͤſt,
muß man einen Uberſchlag machen mit ſeinen Ein-
kuͤnfften, und wohl uͤberlegen, ob man auch ſo viel
im Vermoͤgen habe, daß, nach Abzug der noͤthigen
Ausgaben, vor die Gaſtereyen etwas uͤbrig bleibe,
und ob man im Stande ſey, die Gaſtgebothe nicht
allein in dieſem Jahr auszurichten, ſondern auch in
dem kuͤnfftigen. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß
ſeine Handlungen allezeit ſo anſtellen, daß er der
groͤßten Vollkommenheit theilhafftig werden moͤge.
Die Regeln des Wohlſtandes muͤſſen den Regeln
der Nothwendigkeit weichen.

§. 16. Je weniger Staats- und Ceremoniel-
Gaſtgebothe man anſtellen kan, je beſſer iſts, ſinte-

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[436/0456] II. Theil. IX. Capitul. ſelbſt die Mahlzeiten, die man ausrichtet, auch ſelten ohne Suͤnde geſchehen. Es iſt nichts buͤrgerlicher und ehrlicher, als die Einladung, und der Anfang, den man hierbey haͤlt. Nuͤch- ternheit und Maͤßigkeit ſchien anfangs die rechte Regel zu ſeyn, aber den Augenblick, nachdem die erſten Begierden des Appetits geſtillet ſind, ſucht man ſeine zaͤrtliche Nied- lichkeit zu vergnuͤgen/ man noͤthiget einander zum Trincken durch die unnuͤtzer weiſe wieder- hohlten Geſundheiten, und man traͤgt zu En- de der Mahlzeit fremde Getraͤncke und Weine auf, deſſen Farbe die Schamhafftigkeit des Geſchlechts ſo gar ſehr verletzt, daß einige Weiber gar kein Bedencken tragen, uͤbermaͤſ- ſig davon zu trincken. §. 15. Bevor man ſich in das Gaſtiren einlaͤſt, muß man einen Uberſchlag machen mit ſeinen Ein- kuͤnfften, und wohl uͤberlegen, ob man auch ſo viel im Vermoͤgen habe, daß, nach Abzug der noͤthigen Ausgaben, vor die Gaſtereyen etwas uͤbrig bleibe, und ob man im Stande ſey, die Gaſtgebothe nicht allein in dieſem Jahr auszurichten, ſondern auch in dem kuͤnfftigen. Ein vernuͤnfftiger Menſch muß ſeine Handlungen allezeit ſo anſtellen, daß er der groͤßten Vollkommenheit theilhafftig werden moͤge. Die Regeln des Wohlſtandes muͤſſen den Regeln der Nothwendigkeit weichen. §. 16. Je weniger Staats- und Ceremoniel- Gaſtgebothe man anſtellen kan, je beſſer iſts, ſinte- mahl

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/456>, abgerufen am 22.11.2024.