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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. I. Capitul.
Sintemahl unsere Vorfahren die Geschichte viel zu
unvollständig beschrieben, als daß sie den Grund
aller Gebräuche mit angeführt hätten, inzwischen
kan man doch bißweilen aus den Antiquitaeten die
Raison entdecken. Hat man sie entdecket, so hat
man mancherley Nutzen davon zu erwarten.
Manche Handlung, die einem jetzund einfältig und
unvernünfftig anscheinet, wird einem vernünfftiger
werden, wenn man weiß, was sie zu bedeuten habe,
und warum sie angegeben und vorgeschrieben wor-
den, man wird am besten unterscheiden können, ob
dieses oder jenes aus dem Heydenthum oder Pabst-
thum noch herfließt, und von was vor einer Nation
sie bis auf uns gebracht worden, und daher am fähig-
sten werden, zu beurtheilen, ob sie bey uns applica-
bel
sey oder nicht, man wird auch nachgehends hie-
durch wahrnehmen, daß manche Ceremonie, die
jetzund in treflichem Credit und Ansehen, einen theils
lächerlichen, theils auch wohl gar schändlichen Ur-
sprung habe.

§. 24. Daß der Ceremoniel-Wissenschafft er-
laubet sey, ohne Abbruch der Wahrheit und Tu-
gend, und ohne sich einen allzu grossen Haß über den
Halß zu laden, solche Sätze den äußerlichen Wesen
der menschlichen Handlungen vorzuschreiben, die
aus der Vernunfft und Tugend fließen, oder doch
derselben nicht zuwider sind, ist wohl eine ausge-
machte Sache. Nachdem wir aber aus den 21. §.
wissen, daß die Welt viel alberne, sündliche und la-
sterhaffte Gebräuche eingeführt, und manchen thö-

rich-

I. Theil. I. Capitul.
Sintemahl unſere Vorfahren die Geſchichte viel zu
unvollſtaͤndig beſchrieben, als daß ſie den Grund
aller Gebraͤuche mit angefuͤhrt haͤtten, inzwiſchen
kan man doch bißweilen aus den Antiquitæten die
Raiſon entdecken. Hat man ſie entdecket, ſo hat
man mancherley Nutzen davon zu erwarten.
Manche Handlung, die einem jetzund einfaͤltig und
unvernuͤnfftig anſcheinet, wird einem vernuͤnfftiger
werden, wenn man weiß, was ſie zu bedeuten habe,
und warum ſie angegeben und vorgeſchrieben wor-
den, man wird am beſten unterſcheiden koͤnnen, ob
dieſes oder jenes aus dem Heydenthum oder Pabſt-
thum noch herfließt, und von was vor einer Nation
ſie bis auf uns gebꝛacht woꝛden, und daher am faͤhig-
ſten werden, zu beurtheilen, ob ſie bey uns applica-
bel
ſey oder nicht, man wird auch nachgehends hie-
durch wahrnehmen, daß manche Ceremonie, die
jetzund in treflichem Credit und Anſehen, einen theils
laͤcherlichen, theils auch wohl gar ſchaͤndlichen Ur-
ſprung habe.

§. 24. Daß der Ceremoniel-Wiſſenſchafft er-
laubet ſey, ohne Abbruch der Wahrheit und Tu-
gend, und ohne ſich einen allzu groſſen Haß uͤber den
Halß zu laden, ſolche Saͤtze den aͤußerlichen Weſen
der menſchlichen Handlungen vorzuſchreiben, die
aus der Vernunfft und Tugend fließen, oder doch
derſelben nicht zuwider ſind, iſt wohl eine ausge-
machte Sache. Nachdem wir aber aus den 21. §.
wiſſen, daß die Welt viel alberne, ſuͤndliche und la-
ſterhaffte Gebraͤuche eingefuͤhrt, und manchen thoͤ-

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[20/0040] I. Theil. I. Capitul. Sintemahl unſere Vorfahren die Geſchichte viel zu unvollſtaͤndig beſchrieben, als daß ſie den Grund aller Gebraͤuche mit angefuͤhrt haͤtten, inzwiſchen kan man doch bißweilen aus den Antiquitæten die Raiſon entdecken. Hat man ſie entdecket, ſo hat man mancherley Nutzen davon zu erwarten. Manche Handlung, die einem jetzund einfaͤltig und unvernuͤnfftig anſcheinet, wird einem vernuͤnfftiger werden, wenn man weiß, was ſie zu bedeuten habe, und warum ſie angegeben und vorgeſchrieben wor- den, man wird am beſten unterſcheiden koͤnnen, ob dieſes oder jenes aus dem Heydenthum oder Pabſt- thum noch herfließt, und von was vor einer Nation ſie bis auf uns gebꝛacht woꝛden, und daher am faͤhig- ſten werden, zu beurtheilen, ob ſie bey uns applica- bel ſey oder nicht, man wird auch nachgehends hie- durch wahrnehmen, daß manche Ceremonie, die jetzund in treflichem Credit und Anſehen, einen theils laͤcherlichen, theils auch wohl gar ſchaͤndlichen Ur- ſprung habe. §. 24. Daß der Ceremoniel-Wiſſenſchafft er- laubet ſey, ohne Abbruch der Wahrheit und Tu- gend, und ohne ſich einen allzu groſſen Haß uͤber den Halß zu laden, ſolche Saͤtze den aͤußerlichen Weſen der menſchlichen Handlungen vorzuſchreiben, die aus der Vernunfft und Tugend fließen, oder doch derſelben nicht zuwider ſind, iſt wohl eine ausge- machte Sache. Nachdem wir aber aus den 21. §. wiſſen, daß die Welt viel alberne, ſuͤndliche und la- ſterhaffte Gebraͤuche eingefuͤhrt, und manchen thoͤ- rich-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/40>, abgerufen am 23.11.2024.