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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von dem Umgang mit Frauenzimmer.
doch wohl geschehen, daß man auch mit dergletchen
Discoursen bey einigen Frauenzimmer, denen es
an der Selbst-Erkänntniß fehlt, nicht unrecht an-
kommt. Manch übelgestaltetes, die lange Zeit nicht
in ihren Spiegel gesehen, oder deren Spiegel ihr,
oder sie doch zum wenigsten sich selbst schmeichelt,
und dabey ein verliebtes Hertz besitzt, bildet sich ein,
den Mannspersonen sey bey ihrem Anblick eben so
zu Muthe, als wie ihr, und nimmt daher alle die
Douceurs, damit sie andere Leute, ihren Gedan-
cken nach, beehren, in der That aber beschimpffen,
vor lauter Ernst auf; und manche bejahrte Dame,
die bey ihrem alten Cörper ein junges mit lauter
Thorheiten und Eitelkeiten der Jugend angefülltes
Hertz hat, hört von der l'ombre Carte, von den
neuen Moden, von allerhand Liebes-Histörchen,
und dergleichen, weit lieber als vom Tode, von der
Ewigkeit und von andern ernsthafften Dingen.
Lasterhaffte Neigungen lassen sich eher entdecken,
als die tugendhafften, wie ich solches in meinem Un-
terricht von der Kunst der Menschen Gemüther zu
erforschen, weitläufftiger ausgeführt. Der Schein
der Tugend ist nicht allezeit Tugend, sintemahl sich
auch Satan in einen Engel des Licht verstellen
kan, den Ausbruch des Lasters aber muß man wohl
vor dasjenige erkennen, was es ist.

§. 15. Bey der Anrede muß man beobachten,
daß sie natürlich und vernünfftig heraus komme,
damit man nicht ohne Raison so gleich aus dem
Stegreif von einer fremden Materie anfange zu

reden,
A a 4

Von dem Umgang mit Frauenzimmer.
doch wohl geſchehen, daß man auch mit dergletchen
Diſcourſen bey einigen Frauenzimmer, denen es
an der Selbſt-Erkaͤnntniß fehlt, nicht unrecht an-
kommt. Manch uͤbelgeſtaltetes, die lange Zeit nicht
in ihren Spiegel geſehen, oder deren Spiegel ihr,
oder ſie doch zum wenigſten ſich ſelbſt ſchmeichelt,
und dabey ein verliebtes Hertz beſitzt, bildet ſich ein,
den Mannsperſonen ſey bey ihrem Anblick eben ſo
zu Muthe, als wie ihr, und nimmt daher alle die
Douceurs, damit ſie andere Leute, ihren Gedan-
cken nach, beehren, in der That aber beſchimpffen,
vor lauter Ernſt auf; und manche bejahrte Dame,
die bey ihrem alten Coͤrper ein junges mit lauter
Thorheiten und Eitelkeiten der Jugend angefuͤlltes
Hertz hat, hoͤrt von der l’ombre Carte, von den
neuen Moden, von allerhand Liebes-Hiſtoͤrchen,
und dergleichen, weit lieber als vom Tode, von der
Ewigkeit und von andern ernſthafften Dingen.
Laſterhaffte Neigungen laſſen ſich eher entdecken,
als die tugendhafften, wie ich ſolches in meinem Un-
terricht von der Kunſt der Menſchen Gemuͤther zu
erforſchen, weitlaͤufftiger ausgefuͤhrt. Der Schein
der Tugend iſt nicht allezeit Tugend, ſintemahl ſich
auch Satan in einen Engel des Licht verſtellen
kan, den Ausbruch des Laſters aber muß man wohl
vor dasjenige erkennen, was es iſt.

§. 15. Bey der Anrede muß man beobachten,
daß ſie natuͤrlich und vernuͤnfftig heraus komme,
damit man nicht ohne Raiſon ſo gleich aus dem
Stegreif von einer fremden Materie anfange zu

reden,
A a 4
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[375/0395] Von dem Umgang mit Frauenzimmer. doch wohl geſchehen, daß man auch mit dergletchen Diſcourſen bey einigen Frauenzimmer, denen es an der Selbſt-Erkaͤnntniß fehlt, nicht unrecht an- kommt. Manch uͤbelgeſtaltetes, die lange Zeit nicht in ihren Spiegel geſehen, oder deren Spiegel ihr, oder ſie doch zum wenigſten ſich ſelbſt ſchmeichelt, und dabey ein verliebtes Hertz beſitzt, bildet ſich ein, den Mannsperſonen ſey bey ihrem Anblick eben ſo zu Muthe, als wie ihr, und nimmt daher alle die Douceurs, damit ſie andere Leute, ihren Gedan- cken nach, beehren, in der That aber beſchimpffen, vor lauter Ernſt auf; und manche bejahrte Dame, die bey ihrem alten Coͤrper ein junges mit lauter Thorheiten und Eitelkeiten der Jugend angefuͤlltes Hertz hat, hoͤrt von der l’ombre Carte, von den neuen Moden, von allerhand Liebes-Hiſtoͤrchen, und dergleichen, weit lieber als vom Tode, von der Ewigkeit und von andern ernſthafften Dingen. Laſterhaffte Neigungen laſſen ſich eher entdecken, als die tugendhafften, wie ich ſolches in meinem Un- terricht von der Kunſt der Menſchen Gemuͤther zu erforſchen, weitlaͤufftiger ausgefuͤhrt. Der Schein der Tugend iſt nicht allezeit Tugend, ſintemahl ſich auch Satan in einen Engel des Licht verſtellen kan, den Ausbruch des Laſters aber muß man wohl vor dasjenige erkennen, was es iſt. §. 15. Bey der Anrede muß man beobachten, daß ſie natuͤrlich und vernuͤnfftig heraus komme, damit man nicht ohne Raiſon ſo gleich aus dem Stegreif von einer fremden Materie anfange zu reden, A a 4

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/395>, abgerufen am 25.11.2024.