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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von der Ceremoniel-Wissensch. überh.

§. 21. Da sich die Ceremonien aus dem Ge-
hirne menschlicher Erfindungen herschreiben, ein
großer Theil der Menschen aber mehr der Einbil-
dung folget, als der Vernunfft, mehr den Begier-
den, als einem regelmäßigen Willen, so kan man
leicht glauben, daß sich mancherley überflüßig, un-
vernünfftig und lasterhafft Zeig dabey eingefloch-
ten; Ob sich gleich große Herren angelegen seyn
lassen, mancherley thörichte und schädliche Gebräu-
che bey ihren Unterthanen je mehr und mehr abzu-
schaffen, und dieselben durch Landes-herrliche Man-
date
zu verbiethen, so bleiben derer dennoch gnug
übrig; die Zeit hat manche Thorheiten öffentlich
privilegirt, hohe Landes-Obrigkeiten erfahren nicht
alles, was bey ihren Unterthanen in diesem Stück
vorgehet, es ist vielen Leuten wegen ihres Interesse
dran gelegen, daß solche Maniren und Gebräuche
erhalten werden, und wer in das Wespen-Nest
stöhren will macht sich allzusehr verhaßt, und also
bleibet so wohl in diesem Stück, als in andern man-
che Thorheit und manch Laster in viridi obser-
vantia.

§. 22. Wenn man nun bedenckt, daß unser Ce-
remoni
en-Wesen aus so mancherley alten und
neuen, auswärtigen und einheimischen, klugen und
einfältigen, guten und bösen Maximen und Sätzen
bestehet, von der Opinion der Menschen beherrscht
wird, nach dem Unterscheid der Länder und der Oer-
ter unterschieden, und von Zeit zu Zeit, der Verän-
derung unterworffen, so möchte einem fast die Lust

ver-
B
Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh.

§. 21. Da ſich die Ceremonien aus dem Ge-
hirne menſchlicher Erfindungen herſchreiben, ein
großer Theil der Menſchen aber mehr der Einbil-
dung folget, als der Vernunfft, mehr den Begier-
den, als einem regelmaͤßigen Willen, ſo kan man
leicht glauben, daß ſich mancherley uͤberfluͤßig, un-
vernuͤnfftig und laſterhafft Zeig dabey eingefloch-
ten; Ob ſich gleich große Herren angelegen ſeyn
laſſen, mancherley thoͤrichte und ſchaͤdliche Gebraͤu-
che bey ihren Unterthanen je mehr und mehr abzu-
ſchaffen, und dieſelben durch Landes-herrliche Man-
date
zu verbiethen, ſo bleiben derer dennoch gnug
uͤbrig; die Zeit hat manche Thorheiten oͤffentlich
privilegirt, hohe Landes-Obrigkeiten erfahren nicht
alles, was bey ihren Unterthanen in dieſem Stuͤck
vorgehet, es iſt vielen Leuten wegen ihres Intereſſe
dran gelegen, daß ſolche Maniren und Gebraͤuche
erhalten werden, und wer in das Weſpen-Neſt
ſtoͤhren will macht ſich allzuſehr verhaßt, und alſo
bleibet ſo wohl in dieſem Stuͤck, als in andern man-
che Thorheit und manch Laſter in viridi obſer-
vantia.

§. 22. Wenn man nun bedenckt, daß unſer Ce-
remoni
en-Weſen aus ſo mancherley alten und
neuen, auswaͤrtigen und einheimiſchen, klugen und
einfaͤltigen, guten und boͤſen Maximen und Saͤtzen
beſtehet, von der Opinion der Menſchen beherrſcht
wird, nach dem Unterſcheid der Laͤnder und der Oer-
ter unterſchieden, und von Zeit zu Zeit, der Veraͤn-
derung unterworffen, ſo moͤchte einem faſt die Luſt

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[17/0037] Von der Ceremoniel-Wiſſenſch. uͤberh. §. 21. Da ſich die Ceremonien aus dem Ge- hirne menſchlicher Erfindungen herſchreiben, ein großer Theil der Menſchen aber mehr der Einbil- dung folget, als der Vernunfft, mehr den Begier- den, als einem regelmaͤßigen Willen, ſo kan man leicht glauben, daß ſich mancherley uͤberfluͤßig, un- vernuͤnfftig und laſterhafft Zeig dabey eingefloch- ten; Ob ſich gleich große Herren angelegen ſeyn laſſen, mancherley thoͤrichte und ſchaͤdliche Gebraͤu- che bey ihren Unterthanen je mehr und mehr abzu- ſchaffen, und dieſelben durch Landes-herrliche Man- date zu verbiethen, ſo bleiben derer dennoch gnug uͤbrig; die Zeit hat manche Thorheiten oͤffentlich privilegirt, hohe Landes-Obrigkeiten erfahren nicht alles, was bey ihren Unterthanen in dieſem Stuͤck vorgehet, es iſt vielen Leuten wegen ihres Intereſſe dran gelegen, daß ſolche Maniren und Gebraͤuche erhalten werden, und wer in das Weſpen-Neſt ſtoͤhren will macht ſich allzuſehr verhaßt, und alſo bleibet ſo wohl in dieſem Stuͤck, als in andern man- che Thorheit und manch Laſter in viridi obſer- vantia. §. 22. Wenn man nun bedenckt, daß unſer Ce- remonien-Weſen aus ſo mancherley alten und neuen, auswaͤrtigen und einheimiſchen, klugen und einfaͤltigen, guten und boͤſen Maximen und Saͤtzen beſtehet, von der Opinion der Menſchen beherrſcht wird, nach dem Unterſcheid der Laͤnder und der Oer- ter unterſchieden, und von Zeit zu Zeit, der Veraͤn- derung unterworffen, ſo moͤchte einem faſt die Luſt ver- B

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/37>, abgerufen am 23.11.2024.