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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. IV. Capitul.

§. 11. Jst man der Frantzösischen Sprache so
mächtig, daß man geschickt ist, ein gutes Concept
darinnen zu machen, und man hat dasjenige, was
ich jetzund in dem vorhergehenden angeführt, da-
bey in Obacht genommen, so thut man wohl,
wenn man an eine hohe Standes-Person, oder
an eine vornehme Dame und grossen Minister ein
Frantzösisch Schreiben überschickt, sintemahl sie
die Mode-Sprache ist, die bey der großen Welt
noch biß dato beliebt, und in gar besondern An-
sehen.

§. 12. Der schrifftliche Vortrag muß so ordent-
lich und deutlich seyn, als der mündliche. Schrei-
bet man an die Höhern, so müssen die Wörter und
Redens-Arten zierlich und wohl ausgesucht, jedoch
nicht gezwungen und hochtrabend seyn. Uber-
haupt muß man sich einer natürlichen und fliessen-
den Schreib-Art befleißigen, die weder zu kurtz noch
zu weitläufftig. Jn Ansehung der allzukurtzge-
faßten Schreib-Art versehen es mehrentheils viele
von den Herren Geistlichen, ingleichen von den
Kaufleuten. Es suchen ihrer viele darinne ein be-
sonder Kunst-Stück, daß sie den Verstand ihrer
Sätze in so wenig Worte einschräncken, daß sie
und andere Leute gar offters nicht wissen, was sie
damit haben wollen; in einer oder in ein paar Zei-
len soll ein großer Verstand eine gantze Rede ste-
cken. Manche bilden sich ein, sie schreiben sen-
tenti
ös, die doch keine Gabe dazu haben, indem sie
sich der allzugroßen Kürtze befleißen, so verfallen sie

dar-
II. Theil. IV. Capitul.

§. 11. Jſt man der Frantzoͤſiſchen Sprache ſo
maͤchtig, daß man geſchickt iſt, ein gutes Concept
darinnen zu machen, und man hat dasjenige, was
ich jetzund in dem vorhergehenden angefuͤhrt, da-
bey in Obacht genommen, ſo thut man wohl,
wenn man an eine hohe Standes-Perſon, oder
an eine vornehme Dame und groſſen Miniſter ein
Frantzoͤſiſch Schreiben uͤberſchickt, ſintemahl ſie
die Mode-Sprache iſt, die bey der großen Welt
noch biß dato beliebt, und in gar beſondern An-
ſehen.

§. 12. Der ſchrifftliche Vortrag muß ſo ordent-
lich und deutlich ſeyn, als der muͤndliche. Schrei-
bet man an die Hoͤhern, ſo muͤſſen die Woͤrter und
Redens-Arten zierlich und wohl ausgeſucht, jedoch
nicht gezwungen und hochtrabend ſeyn. Uber-
haupt muß man ſich einer natuͤrlichen und flieſſen-
den Schreib-Art befleißigen, die weder zu kurtz noch
zu weitlaͤufftig. Jn Anſehung der allzukurtzge-
faßten Schreib-Art verſehen es mehrentheils viele
von den Herren Geiſtlichen, ingleichen von den
Kaufleuten. Es ſuchen ihrer viele darinne ein be-
ſonder Kunſt-Stuͤck, daß ſie den Verſtand ihrer
Saͤtze in ſo wenig Worte einſchraͤncken, daß ſie
und andere Leute gar offters nicht wiſſen, was ſie
damit haben wollen; in einer oder in ein paar Zei-
len ſoll ein großer Verſtand eine gantze Rede ſte-
cken. Manche bilden ſich ein, ſie ſchreiben ſen-
tenti
oͤs, die doch keine Gabe dazu haben, indem ſie
ſich der allzugroßen Kuͤrtze befleißen, ſo verfallen ſie

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[328/0348] II. Theil. IV. Capitul. §. 11. Jſt man der Frantzoͤſiſchen Sprache ſo maͤchtig, daß man geſchickt iſt, ein gutes Concept darinnen zu machen, und man hat dasjenige, was ich jetzund in dem vorhergehenden angefuͤhrt, da- bey in Obacht genommen, ſo thut man wohl, wenn man an eine hohe Standes-Perſon, oder an eine vornehme Dame und groſſen Miniſter ein Frantzoͤſiſch Schreiben uͤberſchickt, ſintemahl ſie die Mode-Sprache iſt, die bey der großen Welt noch biß dato beliebt, und in gar beſondern An- ſehen. §. 12. Der ſchrifftliche Vortrag muß ſo ordent- lich und deutlich ſeyn, als der muͤndliche. Schrei- bet man an die Hoͤhern, ſo muͤſſen die Woͤrter und Redens-Arten zierlich und wohl ausgeſucht, jedoch nicht gezwungen und hochtrabend ſeyn. Uber- haupt muß man ſich einer natuͤrlichen und flieſſen- den Schreib-Art befleißigen, die weder zu kurtz noch zu weitlaͤufftig. Jn Anſehung der allzukurtzge- faßten Schreib-Art verſehen es mehrentheils viele von den Herren Geiſtlichen, ingleichen von den Kaufleuten. Es ſuchen ihrer viele darinne ein be- ſonder Kunſt-Stuͤck, daß ſie den Verſtand ihrer Saͤtze in ſo wenig Worte einſchraͤncken, daß ſie und andere Leute gar offters nicht wiſſen, was ſie damit haben wollen; in einer oder in ein paar Zei- len ſoll ein großer Verſtand eine gantze Rede ſte- cken. Manche bilden ſich ein, ſie ſchreiben ſen- tentioͤs, die doch keine Gabe dazu haben, indem ſie ſich der allzugroßen Kuͤrtze befleißen, ſo verfallen ſie dar-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/348>, abgerufen am 25.11.2024.