einige von den jungen Leuten stets vor sich hin auf einen Fleck sehen; es sey nun, daß sie würcklich speculativ sind, und ihre Gedancken auf einen ge- wissen innerlichen oder äusserlichen Gegenwurff ge- richtet, oder daß es doch scheinet, als ob sie in Ge- dancken wären. Wer speculiren und nachsinnen will, muß in seinem Zimmer bleiben, und nicht in Gesellschafften gehen, hier schickt sichs nicht, es hat alles seine Zeit. Dieser Fehler wird einem tieff- sinnigen Mathematico, der sich durch seine Erfin- dungen in der Welt berühmt macht, eher zu gut ge- halten, als einem jungen Cavalier, der sein Glück in der Welt machen, und allen allerley werden soll.
§. 19. Eine unangenehme Mine ist es, wenn junge Leute, bey Hofe oder in andern Gesellschaff- ten, eine fremde Person, zumahl eine solche, die hö- her ist, als sie, mit unverwandten Augen stets anse- hen, und sie von Fuß auf biß auf den Kopff betrach- ten. Eine solche Betrachtung scheinet entweder allzu vornehm, oder allzu gemein; ich sage allzu vor- nehm, indem hohe Standes-Personen, wie ich oben angeführt, öffters die Gewohnheit an sich haben, die Geringern auf diese Art zu betrachten und zu be- urtheilen. Was aber jenen frey stehet, ist deswe- gen diesem nicht erlaubt. Allzu gemein läst es, weil man sich hierinnen dem Pöbel ähnlich erweiset, der eine prächtig angekleidete Person, die ihm nicht alle Tage vor die Augen kommt, mit aufgesperrtem Maul und der grösten Verwunderung, eine lange
Zeit
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Von Manieren u. Stellungen des Leibes.
einige von den jungen Leuten ſtets vor ſich hin auf einen Fleck ſehen; es ſey nun, daß ſie wuͤrcklich ſpeculativ ſind, und ihre Gedancken auf einen ge- wiſſen innerlichen oder aͤuſſerlichen Gegenwurff ge- richtet, oder daß es doch ſcheinet, als ob ſie in Ge- dancken waͤren. Wer ſpeculiren und nachſinnen will, muß in ſeinem Zimmer bleiben, und nicht in Geſellſchafften gehen, hier ſchickt ſichs nicht, es hat alles ſeine Zeit. Dieſer Fehler wird einem tieff- ſinnigen Mathematico, der ſich durch ſeine Erfin- dungen in der Welt beruͤhmt macht, eher zu gut ge- halten, als einem jungen Cavalier, der ſein Gluͤck in der Welt machen, und allen allerley werden ſoll.
§. 19. Eine unangenehme Mine iſt es, wenn junge Leute, bey Hofe oder in andern Geſellſchaff- ten, eine fremde Perſon, zumahl eine ſolche, die hoͤ- her iſt, als ſie, mit unverwandten Augen ſtets anſe- hen, und ſie von Fuß auf biß auf den Kopff betrach- ten. Eine ſolche Betrachtung ſcheinet entweder allzu vornehm, oder allzu gemein; ich ſage allzu vor- nehm, indem hohe Standes-Perſonen, wie ich oben angefuͤhrt, oͤffters die Gewohnheit an ſich haben, die Geringern auf dieſe Art zu betrachten und zu be- urtheilen. Was aber jenen frey ſtehet, iſt deswe- gen dieſem nicht erlaubt. Allzu gemein laͤſt es, weil man ſich hierinnen dem Poͤbel aͤhnlich erweiſet, der eine praͤchtig angekleidete Perſon, die ihm nicht alle Tage vor die Augen kommt, mit aufgeſperrtem Maul und der groͤſten Verwunderung, eine lange
Zeit
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[193/0213]
Von Manieren u. Stellungen des Leibes.
einige von den jungen Leuten ſtets vor ſich hin auf
einen Fleck ſehen; es ſey nun, daß ſie wuͤrcklich
ſpeculativ ſind, und ihre Gedancken auf einen ge-
wiſſen innerlichen oder aͤuſſerlichen Gegenwurff ge-
richtet, oder daß es doch ſcheinet, als ob ſie in Ge-
dancken waͤren. Wer ſpeculiren und nachſinnen
will, muß in ſeinem Zimmer bleiben, und nicht in
Geſellſchafften gehen, hier ſchickt ſichs nicht, es hat
alles ſeine Zeit. Dieſer Fehler wird einem tieff-
ſinnigen Mathematico, der ſich durch ſeine Erfin-
dungen in der Welt beruͤhmt macht, eher zu gut ge-
halten, als einem jungen Cavalier, der ſein Gluͤck
in der Welt machen, und allen allerley werden
ſoll.
§. 19. Eine unangenehme Mine iſt es, wenn
junge Leute, bey Hofe oder in andern Geſellſchaff-
ten, eine fremde Perſon, zumahl eine ſolche, die hoͤ-
her iſt, als ſie, mit unverwandten Augen ſtets anſe-
hen, und ſie von Fuß auf biß auf den Kopff betrach-
ten. Eine ſolche Betrachtung ſcheinet entweder
allzu vornehm, oder allzu gemein; ich ſage allzu vor-
nehm, indem hohe Standes-Perſonen, wie ich oben
angefuͤhrt, oͤffters die Gewohnheit an ſich haben,
die Geringern auf dieſe Art zu betrachten und zu be-
urtheilen. Was aber jenen frey ſtehet, iſt deswe-
gen dieſem nicht erlaubt. Allzu gemein laͤſt es, weil
man ſich hierinnen dem Poͤbel aͤhnlich erweiſet, der
eine praͤchtig angekleidete Perſon, die ihm nicht alle
Tage vor die Augen kommt, mit aufgeſperrtem
Maul und der groͤſten Verwunderung, eine lange
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/213>, abgerufen am 24.11.2024.
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