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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. VI. Capitul.
allerwenigsten Erkäntniß und Geschicklichkeit besi-
tzen, nach sichern Merckmahlen ein vernünfftiges
Urtheil zu fällen, am meisten geneigt sind, über die
Aufführung eines Menschen ihre unzeitigen Urtheile
auszuschütten. Hat er nun das Glück, ihnen nach
seinem äusserlichen Wesen zu gefallen, so wird er
ungemein erhoben, und vor einen feinen, manierli-
chen, angenehmen und artigen Menschen angesehen,
der ein recht galant homme sey, und wohl zu leben
wisse, wo aber nicht, so achtet man ihn, ob er schon
im übrigen noch so weise und tugendhafft wäre, vor
einen schlechten Menschen, vor einen Schulfuchß,
und ich weiß selbst nicht, vor was.

§. 2. Bißweilen urtheilen sie nach der gantzen
Person, zuweilen aber auch nur nach dem blossen
Gesicht. Daher folgende Urtheile formirt werden:
Der Mensch hat ein gut Gesicht, oder ein kluges,
redliches und aufrichtiges Gesicht, oder, er hat ein
böses, ein einfältig Gesichte, der Schelm siehet ihm
aus den Augen heraus, u. s. w. Daß man biß-
weilen aus der Physiognomie eine und die andere
in der Seele verborgen-liegende Neigung mit gu-
tem Grunde errathen könne, ist wohl wahr, und ha-
be ich die Wahrheit und Möglichkeit davon in mei-
nem Unterricht von der Kunst, der Menschen Ge-
müther zu erkennen, in einem eignen Capitul vor-
gestellt. Daß sich aber auch die meisten Menschen
bey ihren Urtheilen in diesem Stück, so wie in an-
dern, gewaltig vergehen, ist auch mehr als zu be-
kandt.

§. 3.

I. Theil. VI. Capitul.
allerwenigſten Erkaͤntniß und Geſchicklichkeit beſi-
tzen, nach ſichern Merckmahlen ein vernuͤnfftiges
Urtheil zu faͤllen, am meiſten geneigt ſind, uͤber die
Auffuͤhrung eines Menſchen ihre unzeitigen Urtheile
auszuſchuͤtten. Hat er nun das Gluͤck, ihnen nach
ſeinem aͤuſſerlichen Weſen zu gefallen, ſo wird er
ungemein erhoben, und vor einen feinen, manierli-
chen, angenehmen und artigen Menſchen angeſehen,
der ein recht galant homme ſey, und wohl zu leben
wiſſe, wo aber nicht, ſo achtet man ihn, ob er ſchon
im uͤbrigen noch ſo weiſe und tugendhafft waͤre, vor
einen ſchlechten Menſchen, vor einen Schulfuchß,
und ich weiß ſelbſt nicht, vor was.

§. 2. Bißweilen urtheilen ſie nach der gantzen
Perſon, zuweilen aber auch nur nach dem bloſſen
Geſicht. Daher folgende Urtheile formirt werden:
Der Menſch hat ein gut Geſicht, oder ein kluges,
redliches und aufrichtiges Geſicht, oder, er hat ein
boͤſes, ein einfaͤltig Geſichte, der Schelm ſiehet ihm
aus den Augen heraus, u. ſ. w. Daß man biß-
weilen aus der Phyſiognomie eine und die andere
in der Seele verborgen-liegende Neigung mit gu-
tem Grunde errathen koͤnne, iſt wohl wahr, und ha-
be ich die Wahrheit und Moͤglichkeit davon in mei-
nem Unterricht von der Kunſt, der Menſchen Ge-
muͤther zu erkennen, in einem eignen Capitul vor-
geſtellt. Daß ſich aber auch die meiſten Menſchen
bey ihren Urtheilen in dieſem Stuͤck, ſo wie in an-
dern, gewaltig vergehen, iſt auch mehr als zu be-
kandt.

§. 3.
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[180/0200] I. Theil. VI. Capitul. allerwenigſten Erkaͤntniß und Geſchicklichkeit beſi- tzen, nach ſichern Merckmahlen ein vernuͤnfftiges Urtheil zu faͤllen, am meiſten geneigt ſind, uͤber die Auffuͤhrung eines Menſchen ihre unzeitigen Urtheile auszuſchuͤtten. Hat er nun das Gluͤck, ihnen nach ſeinem aͤuſſerlichen Weſen zu gefallen, ſo wird er ungemein erhoben, und vor einen feinen, manierli- chen, angenehmen und artigen Menſchen angeſehen, der ein recht galant homme ſey, und wohl zu leben wiſſe, wo aber nicht, ſo achtet man ihn, ob er ſchon im uͤbrigen noch ſo weiſe und tugendhafft waͤre, vor einen ſchlechten Menſchen, vor einen Schulfuchß, und ich weiß ſelbſt nicht, vor was. §. 2. Bißweilen urtheilen ſie nach der gantzen Perſon, zuweilen aber auch nur nach dem bloſſen Geſicht. Daher folgende Urtheile formirt werden: Der Menſch hat ein gut Geſicht, oder ein kluges, redliches und aufrichtiges Geſicht, oder, er hat ein boͤſes, ein einfaͤltig Geſichte, der Schelm ſiehet ihm aus den Augen heraus, u. ſ. w. Daß man biß- weilen aus der Phyſiognomie eine und die andere in der Seele verborgen-liegende Neigung mit gu- tem Grunde errathen koͤnne, iſt wohl wahr, und ha- be ich die Wahrheit und Moͤglichkeit davon in mei- nem Unterricht von der Kunſt, der Menſchen Ge- muͤther zu erkennen, in einem eignen Capitul vor- geſtellt. Daß ſich aber auch die meiſten Menſchen bey ihren Urtheilen in dieſem Stuͤck, ſo wie in an- dern, gewaltig vergehen, iſt auch mehr als zu be- kandt. §. 3.

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/200>, abgerufen am 24.11.2024.