Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.I. Theil. V. Capitul. einander tieffe Reverences, und rauben einanderdoch die Ehre! o wie viel essen an einer Tafel, und gehen mit einander spatzieren, deren Hertz aber weit von einander entfernet ist! o wie viel biethen einan- der ihre willigste Dienste an, die einander lieber möchten fressen! o wie viel geben einander Visiten, welche einander lieber helffen möchten begraben, mit einem Wort, viel stellen sich, als wäre es ihnen sehr lieb, wenn es einem wohl und glücklich gienge, die einem doch lieber condolirten, wenn einem ein groß Unglück begegnete. S. p. 132. Der Autor der Europäischen Fama, der noch unter allen am gelindesten hievon spricht, raisonirt folgender Ge- stalt: Man wird bey den sterblichen Menschen aus der Erfahrung gelehrt, daß Worte und Thaten nicht jederzeit mit einander übereinstimmen, ia man pflegt insgemein zu schlüßen, daß daselbst die wenig- sten Wercke zu finden, wo die meisten Worte sind, und daß ein Mensch dem andern nicht leichtlich zweyerley Freunde zu machen pflegt, mit reden und thun. S. den VII. Theil. p. 892. §. 4. Doch dieses sind lasterhaffte Abwege der peln
I. Theil. V. Capitul. einander tieffe Reverences, und rauben einanderdoch die Ehre! o wie viel eſſen an einer Tafel, und gehen mit einander ſpatzieren, deren Hertz aber weit von einander entfernet iſt! o wie viel biethen einan- der ihre willigſte Dienſte an, die einander lieber moͤchten freſſen! o wie viel geben einander Viſiten, welche einander lieber helffen moͤchten begraben, mit einem Wort, viel ſtellen ſich, als waͤre es ihnen ſehr lieb, wenn es einem wohl und gluͤcklich gienge, die einem doch lieber condolirten, wenn einem ein groß Ungluͤck begegnete. S. p. 132. Der Autor der Europaͤiſchen Fama, der noch unter allen am gelindeſten hievon ſpricht, raiſonirt folgender Ge- ſtalt: Man wird bey den ſterblichen Menſchen aus der Erfahrung gelehrt, daß Worte und Thaten nicht jederzeit mit einander uͤbereinſtimmen, ia man pflegt insgemein zu ſchluͤßen, daß daſelbſt die wenig- ſten Wercke zu finden, wo die meiſten Worte ſind, und daß ein Menſch dem andern nicht leichtlich zweyerley Freunde zu machen pflegt, mit reden und thun. S. den VII. Theil. p. 892. §. 4. Doch dieſes ſind laſterhaffte Abwege der peln
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I. Theil. V. Capitul.
einander tieffe Reverences, und rauben einander
doch die Ehre! o wie viel eſſen an einer Tafel, und
gehen mit einander ſpatzieren, deren Hertz aber weit
von einander entfernet iſt! o wie viel biethen einan-
der ihre willigſte Dienſte an, die einander lieber
moͤchten freſſen! o wie viel geben einander Viſiten,
welche einander lieber helffen moͤchten begraben,
mit einem Wort, viel ſtellen ſich, als waͤre es ihnen
ſehr lieb, wenn es einem wohl und gluͤcklich gienge,
die einem doch lieber condolirten, wenn einem ein
groß Ungluͤck begegnete. S. p. 132. Der Autor
der Europaͤiſchen Fama, der noch unter allen am
gelindeſten hievon ſpricht, raiſonirt folgender Ge-
ſtalt: Man wird bey den ſterblichen Menſchen aus
der Erfahrung gelehrt, daß Worte und Thaten
nicht jederzeit mit einander uͤbereinſtimmen, ia man
pflegt insgemein zu ſchluͤßen, daß daſelbſt die wenig-
ſten Wercke zu finden, wo die meiſten Worte ſind,
und daß ein Menſch dem andern nicht leichtlich
zweyerley Freunde zu machen pflegt, mit reden und
thun. S. den VII. Theil. p. 892.
§. 4. Doch dieſes ſind laſterhaffte Abwege der
Compliments-Reden, und koͤnnen von denen
Complimens gar wohl abgeſondert werden. Fal-
ſche Leute fuͤhren freylich Honig im Munde, und
Gall im Hertzen, ein redlich geſinnter aber vereini-
get auch mit ſeinen Complimens Wahrheit und
Aufrichtigkeit. Daß die Complimens an und vor
ſich ſelbſt auch einem wahren Glaͤubigen nicht un-
anſtaͤndig, erkennet man aus unterſchiedenen Exem-
peln
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