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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von dem Titul-Wesen und Praedicaten.
habenste ist, nicht Görge und Matthes schlecht weg,
sondern Herr Görge und Herr Matthes ja sie ach-
ten ihn wohl gar vor vornehm; wie ich denn selbst
diesen vorher mir unbekandten Satz aus eigener
Erfahrung erlernt: Als ich mich einsten, bey einer
Promenade in Durchpassirung eines gewissen
Dorffes, bey einem Bauer erkundigte, wer denn in
diesem Hause, welches vor andern gantz reinlich
aussahe wohnte, ob es etwan ein Vorwerg wäre,
oder wem es sonst zugehörte? So gab er mir zur
Antwort: es wäre gar ein Vornehmer, der darin-
nen wohnte; und nach weitern Befragen, wer es
denn wäre, erklärt er sich, es wäre zwar auch nur ein
Bauer, er wäre auch nicht Richter noch Schöppe,
aber doch sonst vornehm. Weil mir nun dieses
sehr widersprechend und lächerlich vorkam, und mich
nach der Raison dieser Benennung erkundigte, so
erfuhr ich doch weiter nichts, als daß er sehr viel
Geld hätte, und lernte also, daß wohlhabend- und
vornehm-seyn bey den Bauren Synonyma wären.
Die Schmarotzer machen es in diesem Stück nicht
viel besser, als der Pöbel; sie erzeigen allen denje-
nigen, bey denen sie schmausen, und mit denen sie
schmausen, um ihres Fressens, Sauffens und Eigen-
nutzes willen, alle äusserliche Ehren-Bezeigungen,
Titul und Benennung, die solche Leute nur anneh-
men wollen, sie mögen vor sie gehören, oder nicht.

§. 45. Aeusserliche Ehre, Titul, Character, und
höherer Stand, soll allezeit eine Belohnung sonder-
barer Tugenden und rühmlicher Thaten seyn, und

ist
G 4

Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
habenſte iſt, nicht Goͤrge und Matthes ſchlecht weg,
ſondern Herr Goͤrge und Herr Matthes ja ſie ach-
ten ihn wohl gar vor vornehm; wie ich denn ſelbſt
dieſen vorher mir unbekandten Satz aus eigener
Erfahrung erlernt: Als ich mich einſten, bey einer
Promenade in Durchpaſſirung eines gewiſſen
Dorffes, bey einem Bauer erkundigte, wer denn in
dieſem Hauſe, welches vor andern gantz reinlich
ausſahe wohnte, ob es etwan ein Vorwerg waͤre,
oder wem es ſonſt zugehoͤrte? So gab er mir zur
Antwort: es waͤre gar ein Vornehmer, der darin-
nen wohnte; und nach weitern Befragen, wer es
denn waͤre, erklaͤrt er ſich, es waͤre zwar auch nur ein
Bauer, er waͤre auch nicht Richter noch Schoͤppe,
aber doch ſonſt vornehm. Weil mir nun dieſes
ſehr widerſprechend und laͤcherlich vorkam, und mich
nach der Raiſon dieſer Benennung erkundigte, ſo
erfuhr ich doch weiter nichts, als daß er ſehr viel
Geld haͤtte, und lernte alſo, daß wohlhabend- und
vornehm-ſeyn bey den Bauren Synonyma waͤren.
Die Schmarotzer machen es in dieſem Stuͤck nicht
viel beſſer, als der Poͤbel; ſie erzeigen allen denje-
nigen, bey denen ſie ſchmauſen, und mit denen ſie
ſchmauſen, um ihres Freſſens, Sauffens und Eigen-
nutzes willen, alle aͤuſſerliche Ehren-Bezeigungen,
Titul und Benennung, die ſolche Leute nur anneh-
men wollen, ſie moͤgen vor ſie gehoͤren, oder nicht.

§. 45. Aeuſſerliche Ehre, Titul, Character, und
hoͤherer Stand, ſoll allezeit eine Belohnung ſonder-
barer Tugenden und ruͤhmlicher Thaten ſeyn, und

iſt
G 4
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[103/0123] Von dem Titul-Weſen und Prædicaten. habenſte iſt, nicht Goͤrge und Matthes ſchlecht weg, ſondern Herr Goͤrge und Herr Matthes ja ſie ach- ten ihn wohl gar vor vornehm; wie ich denn ſelbſt dieſen vorher mir unbekandten Satz aus eigener Erfahrung erlernt: Als ich mich einſten, bey einer Promenade in Durchpaſſirung eines gewiſſen Dorffes, bey einem Bauer erkundigte, wer denn in dieſem Hauſe, welches vor andern gantz reinlich ausſahe wohnte, ob es etwan ein Vorwerg waͤre, oder wem es ſonſt zugehoͤrte? So gab er mir zur Antwort: es waͤre gar ein Vornehmer, der darin- nen wohnte; und nach weitern Befragen, wer es denn waͤre, erklaͤrt er ſich, es waͤre zwar auch nur ein Bauer, er waͤre auch nicht Richter noch Schoͤppe, aber doch ſonſt vornehm. Weil mir nun dieſes ſehr widerſprechend und laͤcherlich vorkam, und mich nach der Raiſon dieſer Benennung erkundigte, ſo erfuhr ich doch weiter nichts, als daß er ſehr viel Geld haͤtte, und lernte alſo, daß wohlhabend- und vornehm-ſeyn bey den Bauren Synonyma waͤren. Die Schmarotzer machen es in dieſem Stuͤck nicht viel beſſer, als der Poͤbel; ſie erzeigen allen denje- nigen, bey denen ſie ſchmauſen, und mit denen ſie ſchmauſen, um ihres Freſſens, Sauffens und Eigen- nutzes willen, alle aͤuſſerliche Ehren-Bezeigungen, Titul und Benennung, die ſolche Leute nur anneh- men wollen, ſie moͤgen vor ſie gehoͤren, oder nicht. §. 45. Aeuſſerliche Ehre, Titul, Character, und hoͤherer Stand, ſoll allezeit eine Belohnung ſonder- barer Tugenden und ruͤhmlicher Thaten ſeyn, und iſt G 4

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/123>, abgerufen am 24.11.2024.